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Wir tun es für Geld

Wir tun es für Geld

Titel: Wir tun es für Geld
Autoren: Matthias Sachau
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erkennt ihren Irrtum und verschwindet schnell wieder. Auch ihre Fußspuren bleiben. Ein viel zu starkes Erinnerungsmal für das kurze Ereignis.
    Ich gehe die nächste Runde.
     
    * * *
     
    Natürlich.
    Transrotor Tourbillon.
    Sie ist bei Ekkehart.
    Man muss nur lange genug laufen, dann kommen die entscheidenden Ideen. Ich lasse endlich alle meine verschneiten, halbverschneiten und frischen Fußspuren im Stich und stapfe mit Schritten, die nun zu einem Ziel wollen, aus dem Park. Die Kino- und Theaterbesucher kommen aus den Häusern, spannen ihre Schirme auf oder verschwinden schnell in ihren Autos. Ich schlängele mich zwischen ihnen durch.
    Oder, nein, sie ist bei Vanessa.
    Karoline hat gesagt, sie will nachdenken, aber Ines denkt schneller als die meisten. Vielleicht ist sie schon längst dabei, überall klaren Tisch zu machen, und packt als Nächstes ihre Koffer. Ich wollte ein neues Leben anfangen. Sie hätte erst recht allen Grund dazu.
    Ich stürze durch unsere Haustür und haste die ersten fünf Stufen nach oben. Vanessas ramponierte Tür schließt nicht mehr. Ich höre Stimmen von drinnen, klopfe laut an und öffne.
    Nein. Was ist das schon wieder?
    Fitnessstudio-Toni sitzt auf einem Stuhl, und Vanessa macht ihn mit einem lasziven Tanz auf ihrem Bett scharf. Und, pikant, sie trägt dabei Sportklamotten.
    Toni wird, als er mich sieht, sofort knallrot.
    »Äh, es gibt hier ein paar geschäftliche Dinge, die wo wir gerade besprechen…«
    Diesmal lacht Vanessa mich nicht an, sondern sendet mir unauffällig ein Fragezeichen zu. Nein, sie weiß nicht, wo Ines ist. Alles klar, alles andere egal.
    »Tschuldigung, falsche Tür. Gute Geschäfte noch. Ich habe nichts gesehen.«
    Nächste Station Ekkeharts Wohnung. Wie glücklich er immer noch strahlt. Nein, ich will nicht bleiben, obwohl die Boxen jetzt wunderbar warmgespielt sind, der Transrotor Tourbillon sich in den perfekten Gleichlauf gedreht hat, die neu aufgehängten Resonatorschalen das absolute Optimum an räumlicher Abbildung herausholen und ich sogar eine seiner Jazzplatten auflegen dürfte.
    Wieder eine Treppe höher, in unserer Wohnung, ist niemand. Keine Ines, die ihre Koffer packt, keine Ines, die weint, keine Ines, einfach keine Ines. Ich gehe ins Bad, nehme ein Handtuch und reibe meine nassen Haare trocken. Im Waschbeckenspiegel sehe ich einen Menschen, der etwas will, aber nicht kann.
     
    * * *
     
    In einem der zahlreichen völlig überschätzten französischen Filmen aus den 70ern müsste ich mich jetzt einfach nur an Udos Bar setzen, nicht mehr aufstehen und warten. Nach drei Tagen würde Ines dann reinkommen und »Gehen wir« sagen. Abgesehen davon, dass ich drei Tage Blasendruck aushalten müsste, wäre das einfach wunderbar.
    Ich gehe aber langsam am Blaubarts Eck vorbei und gebe es im gleichen Moment auf, über weitere Ines-Suchorte nachzudenken. Es schneit immer noch. Ich habe zu Hause Mütze und Schal herausgeholt und den Mantelkragen nun doch nach oben geschlagen. Ich bewege mich voran, denke dabei aber kaum weiter als immer nur an den nächsten Schritt und weiche hin und wieder den Leuten aus, die mir entgegenkommen. Als ich ein paar Straßen weiter an einer Haltestelle vorbeigehe, kommt zufällig eine Straßenbahn. Ich steige ein, vielleicht, weil ich unbewusst doch ein Ziel habe, vielleicht aber auch nur, weil meine Schuhe nass sind und die Straßenbahn ein Ort ist, an dem ich mich aufwärmen kann, ohne dabei anhalten zu müssen.
    Nachdem ich mich hingesetzt habe, fange ich, wie immer, an, etwas zu summen. My Funny Valentine. Ich habe die Aufnahme von Gerry Mulligan und Chet Baker im Kopf. Das Baritonsaxsolo kann ich auswendig. Ohne es zu wollen, summe ich heute etwas lauter als sonst. Weil Samstagabend ist, nehmen die Mitfahrer das wohlwollend als Vorprogramm für ihre Abendunterhaltung zur Kenntnis und nicht als Bedrohung. Für mich ist aber ihre Aufmerksamkeit, die auch nicht nachlässt, als ich mit dem Summen aufhöre, eine Bedrohung, und ich steige bald wieder aus.
    Es ist eine der vielen Stationen am Innenstadtring. Ohne nachzudenken gehe ich in die erstbeste Richtung. Nicht meine Gegend, aber auch hier kenne ich die Straßen. Ich habe schließlich mein ganzes Leben in dieser Stadt verbracht.
     
    * * *
     
    Seit ich wieder von unserer Wohnung aus aufgebrochen bin, war ich mir sicher, kein festes Ziel zu haben, sondern einfach nur immer weiter zu gehen, in der Hoffnung, dass ich nicht ganz so lang und weit wie der arme Forrest Gump
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