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Wir tun es für Geld

Wir tun es für Geld

Titel: Wir tun es für Geld
Autoren: Matthias Sachau
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gekommen, weil ich hier die meisten Leute finde, die ich fragen kann, ob sie etwas von Ines wissen.
    Udo hat sie nicht gesehen. Er unterbricht allerdings kurz seinen Griesgram und guckt erstaunt. So erstaunt, dass ich die paar entfernten Bekannten, die ich sonst noch herumsitzen sehe, gar nicht erst nach Ines frage. Ich will keine Gerüchte, und erst recht keine Panik. Als ich durch den Vorhang zurückgehe, spreche ich wieder leise mit mir.
    »Warum suche ich sie überhaupt?«
    Wenn sie beim Gehen die Wohnungstür hinter sich zuschließt, bewusst oder unbewusst, will sie nicht, dass man ihr folgt. Sie will Land gewinnen, braucht Abstand, sucht die Einsamkeit oder andere Leute. Also, warum? Ja, ich mache mir Sorgen um sie. »Ines« und »Selbstmord« sind zwei Worte, die kaum zusammenpassen, aber das habe ich vor kurzem auch von »Lukas« und »Selbstmord« gedacht.
    Andererseits, hätte ich wirklich Angst um sie, müsste ich dann nicht ganz andere Dinge tun? Telefonieren, Taxis rufen, an Orte hetzen, ihren Namen schreien? Überhaupt, telefonieren – warum rufe ich niemanden an? Gut, im Blaubart ruft man nicht an, sondern geht vorbei, aber warum bin ich jetzt auf dem Weg zu Karolines Atelier, ohne dass ich sie vorher angerufen habe? Mein Handy steckt in meiner Manteltasche, die Nummer ist eingespeichert. Bis ich dort bin, brauche ich locker noch zehn Minuten. Ich könnte einfach anrufen.
     
    * * *
     
    »Warum suchst du sie?«
    »Karoline, ich will sie einfach… finden.«
    Sie sieht mich mit kalten Augen über ihre Nähmaschine hinweg an und arbeitet dabei, routiniert genug, um nicht hinsehen zu müssen, weiter. Ich erlebe sie zum ersten Mal richtig bei ihrem Job, wie konzentriert sie an den Kleidern tüftelt, die für andere Frauen Träume erfüllen sollen, und erkenne, wie anstrengend das alles sein muss. Und gleichzeitig wird mir zum ersten Mal klar, dass sie natürlich von Anfang an alles miterlebt hat. Sie hat Ines über die ganzen Jahre hinweg, in denen ich mit Vanessa rumgeeiert bin, getröstet. Sie war dabei, als wir, viel zu spät und eigentlich nur wegen Ekkehart, doch noch zueinandergefunden haben. Sie sah zu, wie ihre beste Freundin Anlauf nahm, um über ihren Schatten zu mir zu springen, und bekam mit, wie ich, als sie schon in der Luft war, auf den ersten jämmerlichen Wink hin wieder zu Vanessa abgehauen bin und sie ins Leere stürzen ließ. Nein, Karoline kann nicht mehr viel für mich übrig haben, auch wenn wir lange Zeit Freunde waren.
    »Ich kann dir auch nur sagen, dass sie hier war. Und sie will jetzt allein sein. Nachdenken, verstehst du?«
    »Wo ist sie denn hin?«
    »Frag mich doch nicht.«
    »Du weißt es gar nicht?«
    »Kann sein.«
     
    * * *
     
    Viktor und Annemarie wohnen schräg gegenüber von Karolines Brautkleidatelier und Tonis Fitnessstudio. Sie waren aber nicht zu Hause. Wieder hätte ich die beiden anrufen können, aber mein Handy bleibt weiter in der Manteltasche und hat nur einen Job: auf eine Nachricht von Ines zu warten.
    Wie aus heiterem Himmel hat es auf einmal wieder angefangen zu schneien, obwohl der Bauer eigentlich schon längst die Rösslein einspannt. Nein, ich schlage meinen Mantelkragen nicht hoch, auch wenn die Flocken dick und feucht sind und sich anfühlen wie überreife, vom ersten Frost überraschte Himbeeren.
    Dass Ines im Bollini ist, kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber es liegt auf dem Weg zum Park, durch den wir öfter nach den Tangostunden spaziert sind, und dort will ich hin. Inzwischen ist es dunkel geworden. Ich halte vor den großen Scheiben an, sehe in den hell erleuchteten Raum und finde sie nicht, auch nicht, nachdem ich zehnmal alle Leute, die es sich dort gemütlich gemacht haben, mit den Augen abgetastet habe. Der Tisch, an dem sie neulich mit Bernd saß, ist frei. Nein, hundertmal nein, sie würde mit dem Kerl nicht glücklich werden. Ich habe recht, Vanessa hat recht, aber es ist trotzdem alles verloren. Ich versuche jetzt nur, sie zu finden. Ich kann im Moment einfach nichts anderes tun, ja, nicht mal denken.
     
    * * *
     
    Dass ich wirklich geglaubt habe, ich würde sie im Park finden, merke ich erst jetzt, als ich sie nicht finde. Zum ersten Mal beginnen Enttäuschung und Entsetzen an mir herumzuwürgen. Ich bin alle beleuchteten Wege abgelaufen und sehe nichts als meine Fußspuren in der dünnen Schneedecke, die es gerade so schafft, nicht sofort zu grauem Matsch zu werden.
    Eine Maus rennt aus dem Gebüsch direkt vor meine Füße,
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