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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Autoren: Carl Hanser Verlag
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und die Genauigkeit, mit der sie den Knoten ihres Seidenschals geknüpft hatte. Und während sie ihm erzählte, aus welch unterschiedlichen Zweigen Kränze gebunden wurden und warum das alles kriegswichtig war, verliebte er sich.
    Rechts und links neben der Straße, ungefähr da, wo einmal der Gehweg gewesen sein musste, türmten sich Schuttberge. Mit jedem Atemzug schluckte man Staub. Am Neumarkt stand kein Stein mehr auf dem anderen. Zwischen den Ruinen wühlten sich Arbeitstrupps in grauen Drillichanzügen durch den Schutt. Gut bewacht von Posten mit geschulterten Gewehren.
    »Wie kann man nur so leben«, sagte Paul und wechselte das Rad von der rechten auf die linke Schulter.
    Franzi arbeitete in der Gärtnerei ihrer Tante. Sie sah ihn spöttisch an: »Bist wohl verwöhnt?«
    Paul sah sie nicht an. Er beobachtete die grauen Gestalten. »Ich habe eigentlich weniger an mich gedacht«, sagte er.
    »Weißt du, was ich gerade für eine Idee hatte?«, fragte Franzi. »Wenn ich den Kranz am Melatenfriedhof abgeliefert habe, nehme ich dich mit zum Takubunker. Dann kannst du meinen großen Bruder kennenlernen.«

    DER
    GLUTROTE
    SONNENBALL war kurz davor, hinter der ausgebrannten Häuserzeile am Takubunker zu versinken. Bastian spielte auf der Gitarre. Auf dem Böschungsrand des Tiefbunkers hockte eine Gruppe Mädchen und Jungen. Sie lehnten sich an die warme Stahlbetonwand oder lagen im Gras. Fast alle sangen.
    »Ja, wo die Fahrtenmesser blitzen
    und die Hitlerjungen flitzen
    und die Edelweißpiraten hinterdrein.
    Was kann das Leben uns denn geben,
    wir wollen frei von Hitler sein.«
    Ein gellender Pfiff ertönte.
    Bastian legte die Gitarre aus der Hand und stellte sie behutsam gegen die graue Wand. Gleichzeitig fuhr Zack aus seinem Halbschlaf hoch und setzte sich auf. Franzi winkte. Neben ihr ging ein großer Junge. Er trug ein Fahrrad, schleppte einen Rucksack und schien nicht besonders gut zu Fuß zu sein.
    »Da kommt Verstärkung«, sagte Ralle und stützte sich lässig auf den Hals seiner Gitarre. Seine Augen lagen versteckt unter dem Schirm einer schwarzen Mütze. Bastian wusste Hotte, Franzis Bruder, neben sich und der schob die Hände tief in die weiten Taschen seiner Manchesterhosen. Freddie hatte Billi im Arm und in der anderen Hand eine kalte Pfeife. Fatz säuberte sich die Fingernägel mit einem Fahrtenmesser.
    »Wen haben wir denn da, Schwesterherz?« Hottes Aufmerksamkeit galt dem Jungen an ihrer Seite.
    Paul stand mit dem Rücken zur Bunkerwand und schwitzte. Misstrauisch glitt sein Blick von einem zum anderen. Als würde er Maß nehmen, dachte Bastian.
    »Das ist Paul. Er hat mein Fahrrad getragen.« Franzi sagte das so, als würde genau dieser Satz alles erklären.
    »Heil Hitler!«, rief Hotte.
    Pauls Augen bekamen plötzlich etwas Lauerndes. Sein Mund wurde zu einem schmalen Strich. Er schob eine Schulter nach vorne und ballte die Fäuste. Bastian hatte genug gesehen und streckte dem Jungen die Hand hin. »Ich bin Bastian Frei.«
    Paul zögerte kurz, dann nahm er sie.
    »Was treibt dich in unsere Gegend?«, fuhr Bastian fort und hielt die Hand fest. So fest, dass Paul bereit war, an eine böse Falle zu glauben. Er schwieg.
    »Paul, Paul, Paul. Dann sag doch mal, wo du herkommst«, forderte Bastian ihn auf.
    Paul schluckte, entzog sich der Hand und wies mit dem gestreckten Daumen hinter sich. »Von da. Ungefähr.«
    »Und? Wo willst du hin? So ungefähr.« Hotte rückte ihm jetzt ganz nah auf die Pelle.
    »Tja«, sagte Paul und erwiderte Hottes festen Blick. »Das werde ich dann sehen.«
    »So, so, du Schlaumeier. Also von da nach da. Das ist aber ein weiter Weg.«
    »Na ja.« Paul grinste. »Bringt mir eure Liedchen bei und ich werde mir unterwegs die Zeit vertreiben.«
    Und dann pfiff er die Melodie, die sie bei seiner Ankunft gespielt hatten.
    »Ja, wo die Fahrtenmesser blitzen ...«
    »Dir gefallen unsere Lieder?« Ralle schob sich die Schirmmütze aus der Stirn und musterte ihn gespannt.
    Paul schnippte die Asche seiner Zigarette ins Geröll. Es fing an, ihm Spaß zu machen. »Ja, es gefällt mir. Besonders die Stelle: wenn die Hitlerjungen flitzen ... Den Text kenne ich eigentlich anders.«
    Bastian hob den Kopf: »Du und die HJ – ihr mögt euch also nicht?«
    Paul ließ sich Zeit und nutzte die Gelegenheit, sich diesen Jungen in der kurzen Lederhose und dem karierten Hemd genauer anzusehen. Bastian war kräftig, aber mindestens einen Kopf kleiner als Paul. Er trug derbe Schnürstiefel. In den
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