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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition)
Autoren: Megan Crewe
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wahr?«
    Das Gewicht ihres Arms war auf meiner Schulter inzwischen unangenehm schwer geworden. »Ja«, versicherte ich. »Natürlich.« Abgesehen davon, dass noch länger bei ihr zu bleiben das Letzte war, was ich in diesem Augenblick wollte. Es war nicht nur das Niesen und Husten – sie redete auch genauso wie ihr Dad vorige Woche. Als spuckte sie jeden hässlichen und peinlichen Gedanken aus, der sich in ihrem Kopf befand.
    Ich rutschte zur Seite, und sie begann wieder, sich am Schlüsselbein zu kratzen, so fest, dass ihr T-Shirt wegrutschte. Sie musste die Stelle schon seit Stunden traktiert haben. Die Haut war rötlich verfärbt – nicht nur leicht gerötet, nein, es war ein tiefes, fleischiges Rosa, als würde jeden Augenblick das Blut durchbrechen. Bei dem Anblick drehte sich mir der Magen um.
    Rachel hörte erst auf zu kratzen, als sie niesen musste. Sie ließ den Arm kurz sinken, und ich sprang auf. Im selben Moment begann im Fernsehen ein Musikvideo zu laufen. Rachel fing an zu kreischen.
    »Ich liebe diesen Song!«, rief sie, hüpfte von der Couch und ergriff meine Hände. »Der ist voll der Wahnsinn!« Ich wippte ein Weilchen mit, während sie tanzte, und überlegte dabei, wie ich da rauskommen sollte. Sie warf die Arme in die Luft und schwang die Hüften. »Was meinst du?«, brüllte sie, obwohl die Musik gar nicht so laut war. »Ich hab in meinem Zimmer geübt. Manchmal mache ich auch Striptease! Für später, wenn ich erst mal einen Freund habe, weißt du. Den mach ich dann total heiß.«
    Sie wirbelte herum und lachte. Das Quietschen der Haustür, die in diesem Moment aufging, war das wunderbarste Geräusch, das ich seit langem gehört hatte.
    »Rachel?«, rief ihre Mom. »Liebling, ich habe dir doch gesagt …«
    Sie stutzte, als sie uns sah. Rachel tanzte immer noch weiter und warf dabei ihr Haar von einer Seite zur anderen. Ich weiß nicht genau, was ihre Mom mehr aufbrachte: die Tatsache, dass ich da war, oder der Umstand, dass ihre Tochter sich wie eine Irre aufführte. Sie war auf jeden Fall ziemlich sauer.
    »Kaelyn«, sagte sie mit leicht bebender Stimme, »ich glaube, jetzt ist nicht gerade der günstigste Zeitpunkt für Rachel, Besuch zu empfangen.«
    »Es tut mir wirklich leid«, antwortete ich, und das meinte ich ernst. »Ich wusste ja nicht, dass sie sich so … aufregen würde.«
    Rachel hüpfte mir zur Tür hinterher. »Mom ist voll die Spielverderberin«, flüsterte sie ziemlich laut. »Sie findet, die anderen Eltern lassen ihre Kinder über die Stränge schlagen. Dabei ist Über-die-Stränge-Schlagen doch irre lustig!«
    Sie kratzte wieder diese Stelle und winkte zum Abschied. Auf halbem Weg zur nächsten Querstraße drehte ich mich noch einmal um, da stand sie immer noch da, kratzte sich und winkte.
    Inzwischen bin ich nicht mehr nur nervös. Ich habe richtig Angst. Schließlich kann ich mir nicht einreden, Rachel sei betrunken gewesen, und anders als bei ihrem Dad gibt es auch sonst keine Entschuldigung für ihr Verhalten. Sie war einfach nicht sie selbst.
    Was zum Teufel geht hier vor?

11. September
    Leo,
    es ist ein Uhr morgens, und ich kann nicht schlafen. Ich wünschte, ich könnte dich anrufen. Ganz egal was passiert ist oder wie panisch ich war, du hast immer die richtigen Worte gefunden, damit es mir bessergeht. Damals, als wir noch Freunde waren.
    Aber ich habe deine New Yorker Telefonnummer nicht, und selbst wenn, ich glaube nicht, dass du begeistert wärst, wenn ich zwei Jahre Schweigen damit brechen würde, dich mitten in der Nacht aus dem Schlaf zu reißen. Ich bin selbst schuld, dass ich nicht schon früher mit dir geredet habe. Also hocke ich jetzt hier mit der Leselampe auf meinem Bett und schreibe in dieses Tagebuch, weil mir nichts Besseres einfällt.
    Als ich heute Nachmittag nach Hause kam, konnte ich gar nicht aufhören, mir Sorgen um Rachel zu machen. Und mir den Kopf darüber zu zerbrechen, welche seltsame Krankheit die Leute wohl dazu bringt, sich so merkwürdig zu benehmen. Aber Bakterien und Viren sind Dads Abteilung, nicht meine.
    Also hab ich angefangen, ihm zu erzählen, was passiert war, während wir zusammen den Abwasch machten. Und am Ende hab ich ihm komplett alles gesagt, auch das von Rachels Dad letzte Woche. Dabei hab ihn nicht angesehen, bloß die Schüssel, die ich gerade abtrocknete, weil ich dachte, dass ich mich ja vielleicht auch unnötig verrückt mache. Mir die Sache einfach mal von der Seele zu reden hat so gut getan. Und ich bekam
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