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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition)
Autoren: Megan Crewe
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hinwegweht und die Möwen über mir ihre Kreise ziehen, dann kann ich mir vorstellen, wie es ist zu fliegen.
    Normalerweise jedenfalls. In diesem Augenblick hatte ich jedoch das Gefühl, als hielte mich ein Gewicht am Boden aus all den Dingen, die ich dir vor deiner Abreise noch hätte sagen sollen.
    Das Wichtigste davon ist am schwersten zuzugeben. Du hattest recht. Als wir weggezogen sind, war ich schon in dem Moment überfordert, als das Taxi uns vom Flughafen in die Innenstadt brachte. Und als ich auf die riesige Schule zuging, in der es nur so wimmelte vor Kindern, die ihr ganzes Leben zwischen Wolkenkratzern und U-Bahnen verbracht hatten, war mir sofort klar, dass ich da nicht hingehörte. Also zog ich los und sah den Schimpansen im Zoo beim Spielen zu und fütterte die kleinen Kätzchen in der Tierklinik, anstatt den Versuch zu starten, mir neue Freunde zu suchen. Wahrscheinlich hätte ich welche gefunden, wenn ich mir nur mehr Mühe gegeben hätte – Drew, der in dieselbe Schule eine Klasse über mir ging, war schon nach vier Wochen so sehr damit beschäftigt, mit seinen Klassenkameraden die Gegend unsicher zu machen, dass wir ihn kaum noch zu Hause sahen. Doch es war einfacher für mich, allein zu bleiben. Und als ich dann in die noch größere Highschool kam, jagte mir schon der bloße Gedanke, irgendwas anderes zu tun, Angst ein.
    Du hast dir mein Gejammer über die Großstadt und die Leute in der Schule so oft geduldig angehört, bevor du dann schließlich mal angemerkt hast, dass ich selbst die Hälfte des Problems sei. Ich hätte nicht so wütend auf dich werden dürfen. Aber damals hatte ich wirklich das Gefühl, du wendest dich plötzlich gegen mich. Ich habe nie kapiert, wie recht du hattest – erst als wir wieder hierhergezogen sind.
    Ich dachte, ich hänge mich einfach wieder an die Leute, die ich schon seit meiner Kindheit kannte, aber alle sahen mich an, als wäre ich eine Fremde. Und ich hatte immer noch Angst. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte, nicht mal zu dir. Ich bin so aus der Übung. Es ist echt verrückt.
    Aber das wird sich ändern. Ab morgen werde ich jemand sein, der mit den Leuten in seiner Klasse spricht, auch wenn sie mich nicht zuerst angesprochen haben, und der in der Stadt unterwegs ist, anstatt auf irgendwelchen Klippen, um Vögel zu beobachten. Diese Person werde ich so lange bleiben, bis ich keine Angst mehr habe. Und das Notizbuch hier werde ich als Tagebuch benutzen, damit ich durchhalte und übe, dir alles Wichtige zu sagen. Und wenn du dann zu Thanksgiving oder Weihnachten das erste Mal nach Hause kommst, kann ich mich persönlich bei dir entschuldigen, und wir sehen, ob wir vielleicht immer noch Freunde sein können.
    Versprochen.

4. September
    Inzwischen hast du dich bestimmt schon in deiner neuen Schule eingewöhnt, Leo. Hast Tanzunterricht bei den allerbesten Lehrern und verbringst deine Zeit mit anderen supertalentierten Leuten. Ich wette, du genießt jede Minute.
    Ich habe an der brandneuen Kaelyn gearbeitet. Während wir gestern in der Schule auf unsere Stundenpläne warteten, habe ich zu mindestens zehn verschiedenen Leuten »Hi« gesagt. Irgendwie kommen sie mir alle immer noch ziemlich reserviert vor, so als befürchteten sie, die Kaelyn, die sie vor fünf Jahren mal kannten, wäre in der Zwischenzeit in Toronto durch eine gefühllose Doppelgängerin ersetzt worden. Etwas anderes als »Hi« habe ich bis jetzt noch nicht hingekriegt. Aber hey, ist doch immerhin ein Anfang.
    Dann habe ich heute nach der Schule meine Frettchen Mowat und Fossey angeleint und sie statt in den Garten mit in den Thompson Park genommen. Ich glaube nicht, dass irgendwer auf der Insel schon jemals ein Hausfrettchen gesehen hat, das an der Leine spazieren geführt wird, und die Vorstellung, dass die Leute mich anstarren, hat mich schon immer nervös gemacht. Aber nach ein paar Minuten kamen ein paar Kinder vorbei und fragten mich alle möglichen Sachen, so was wie: »Was fressen die denn?« und »Können die schwimmen?«, und es hat Spaß gemacht. Mowat und Fossey fanden die ganze Aufmerksamkeit natürlich toll.
    Als ich wieder zu Hause war, kam Mom hoch in mein Zimmer. »Wir essen heute etwas später zu Abend«, sagte sie. »Sie haben einen ungewöhnlichen Fall im Krankenhaus und wollen, dass dein Vater sich das mal ansieht.«
    »Wie denn ungewöhnlich?«, fragte ich.
    »Das wusste er nicht«, antwortete sie. »Er hat mich angerufen, bevor er das Forschungszentrum
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