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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition)
Autoren: Megan Crewe
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Überreste zerbrochener Glasscheiben funkelten in den Fensterrahmen, und ramponierte Türen hingen in ihren Angeln; Zeugnisse der Plünderungen durch die Gang. Die ungefähr zwanzig Freiwilligen, die im Krankenhaus halfen, schliefen auch dort. Von den mehreren hundert Häusern, die während der letzten zwei Monate von Gavs Hilfstrupp mit Lebensmitteln versorgt wurden, waren nur noch ein paar Dutzend übrig, in denen die Bewohner es geschafft hatten, sich nicht mit dem Virus anzustecken, und weiter durchzuhalten. Alle anderen Häuser standen mittlerweile leer.
    Ich kam am Krankenhaus vorbei. Jenseits davon führte mich ein schmaler gepflasterter Pfad durch ein mit vereinzelten Tannen bewachsenes Gelände, auf dem hier und da rötliche Felsen aus der Schneedecke hervorlugten. Ab und zu kreuzten Pfotenabdrücke meinen Weg, meistens von Eichhörnchen oder Kojoten. An einem anderen Tag wäre ich vielleicht stehen geblieben, um sie näher zu betrachten, aber die Schlüssel, die ich in meiner Tasche spürte, zogen mich weiter.
    Wer sollte sich schon noch für meine Beobachtungen interessieren? Es würde sowieso für ziemlich lange Zeit keine Nachfrage mehr nach Wildbiologen geben.
    Das Forschungszentrum befand sich inmitten eines Halbkreises aus Kiefern, ein ausladender Quader aus beigefarbenem Beton. Einige Schritte von der Tür entfernt blieb ich stehen. Vor dem Eingang waren Dutzende Fußabdrücke im Schnee zu erkennen – mit schweren Profilen von Winterstiefeln. Seit dem letzten Schneefall mussten mehrere Leute hier gewesen sein.
    Haarfeine Kratzspuren verschrammten das Metall rund um das Schlüsselloch. Das Sicherheitsglas in einem der Fenster war abgeplatzt, so als hätte jemand versucht, es einzuschlagen. Die an der Wand neben der Tür angebrachte Gegensprechanlage war aufgebrochen, und die Kabel waren durchtrennt worden. Meine Hände ballten sich in den Manteltaschen zu Fäusten.
    Die Gang hatte inzwischen also auch Interesse an diesem Gebäude gefunden. Als hätten sie nicht schon genug gestohlen.
    Die Fußspuren verloren sich zwischen den Bäumen quer zur Straße. Keine Reifenspuren. Die Eindringlinge hatten also vermutlich eher Zeit totgeschlagen als einen offiziellen Auftrag gehabt. Und im Moment gab es keine Anzeichen, dass noch irgendjemand sonst hier war.
    Zitternd zog ich die Schlüssel hervor. Der größere passte in das Schloss und ließ sich leicht umdrehen. Ich schob die Tür auf.
    Der Notstromgenerator lief noch – als ich auf den Schalter drückte, ging blinkend das Licht in der Eingangshalle an. Das überraschte mich nicht. Als neuestes Gebäude in der Gegend besaß das Forschungszentrum natürlich die beste technische Ausstattung der ganzen Insel.
    Nach einer Reihe leerer Postfächer gelangte ich in eine Küche, in der sich außer einer Packung Tee nichts befand, und in einen weiteren Raum, der anscheinend als Besprechungszimmer diente und wo ein Flachbildfernseher den Großteil der vorderen Wand einnahm. Ein schmaler Riss verlief mitten durch den Bildschirm.
    Ein vages Gefühl innerer Unruhe überkam mich, als ich weiter in Richtung Treppenhaus ging.
    Das zweite Zimmer, in das ich oben hineinspähte, musste Dads Büro sein. Auf einer Seite des Schreibtischs stand ein gerahmtes Foto von mir und Drew am Strand, und daneben lagen die Lederhandschuhe, die Mom ihm an unserem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest geschenkt hatte.
    Der Computer verlangte ein Passwort, mit dem ich nicht dienen konnte. Ich durchwühlte sämtliche Schubladen, fand jedoch nur Berichte über Meeresbakterien und Planktonpopulationen und ließ mich zurück in seinen Schreibtischsessel sinken.
    Wie viele Stunden hatte Dad wohl hier gesessen? Und sich den Kopf über das Virus zerbrochen? Mom vermisst? Oder sich Sorgen um Drew und mich gemacht?
    Ich blinzelte die Tränen weg und erhob mich. Wenn ich zu lange fortblieb, würde Gav sich Gedanken machen.
    Die dritte Tür führte in ein Labor. Als ich den Schalter am Eingang betätigte, tauchten Leuchtstofflampen den Raum in mattes farbloses Licht. Vor einer Wand aus Glasschränken standen Mikroskope und Petrischalen auf einer schwarzglänzenden Tischoberfläche. In der Ecke war ein riesiger Edelstahlkühlschrank, auf dem eine elektronische Anzeige die aktuelle Innentemperatur angab. Das war eindeutig der Ort, an dem Dad seine letzten Tage verbracht hatte. Neben einem der Mikroskope stand ein halbvoller Styroporbecher mit kaltem Tee. Daneben lagen mehrere Notizbücher auf dem Tisch,
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