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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition)
Autoren: Megan Crewe
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ich mir überhaupt vorstellen kann. Da kann ich doch nicht einfach so tun, als wäre nichts.«
    »Doch, das kannst du«, erwiderte ich und trat einen Schritt zurück, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. »Weißt du, was noch schlimmer für mich wäre? Wenn du dein Leben riskierst, weil du glaubst, du würdest mir helfen, und dann womöglich dir etwas passiert. Denn für mich ist das Allerwichtigste, dass dir nicht auch noch etwas zustößt. Das verstehst du doch, oder? Wenn ich dauernd versuche, dich zu schützen, und du dauernd versuchst, mich zu schützen, dann hebt sich doch alles gegenseitig auf. Und dann überlebt am Ende vielleicht keiner von uns.«
    »Und was sollen wir dann deiner Meinung nach jetzt tun?«, fragte er gepresst. »Einfach aufhören zusammen zu sein?«
    Ich holte tief Luft. »Nein«, antwortete ich. »Natürlich nicht. Aber vielleicht … Erinnerst du dich noch an neulich, als du sagtest, du hättest auch Notiz von mir genommen, wenn das mit der Epidemie nicht passiert wäre? Können wir uns nicht einfach so verhalten, als wäre das hier eine Welt, in der unser Leben nicht ständig in Gefahr ist und in der andauernd schreckliche Dinge passieren? Können wir nicht einfach ganz normal miteinander umgehen? Und damit aufhören, uns ständig Gedanken zu machen, wer gerade wen beschützen muss?«
    »Normal«, erwiderte er. »Du meinst so was wie Schokolade und Blumen, Schulbälle und Kino und streiten, ob wir mit deinen oder mit meinen Freunden was unternehmen?«
    »Na ja, vielleicht nicht total normal«, antwortete ich. »Irgendwas in Richtung normal.«
    Seine Schultern hoben und senkten sich, dann verzogen sich seine Lippen zu einem zaghaften Lächeln. »Einverstanden«, sagte er. »Das könnte ich mal versuchen. Ich weiß auch schon, was ich jetzt in einer Welt tun würde, die irgendwas in Richtung normal ist.«
    Damit zog er mich zu sich heran und küsste mich, und auf einmal hatte ich gar nicht mehr so viel Angst. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, es könnte am Ende vielleicht doch alles gut werden.
    Ich verstehe jetzt besser, was Drew damals im September meinte, als er sagte, es hätte keinen Sinn, sich selbst vor dem Rest der Welt wegzuschließen, nur um in Sicherheit zu sein. Denn es ist der Rest der Welt, für den es sich überhaupt lohnt zu leben. Aber Gav soll sich niemals so fühlen wie ich, an den Rande des Abgrunds gedrängt, voller Schuldgefühle, weil er nicht alle retten konnte. Weil er mich nicht retten konnte. Wenn es nötig ist, gerettet zu werden, dann übernehme ich das selbst. Ich denke, das kriege ich hin.

22. Dezember
    Als Gav gestern zum Mittagessen vorbeikam, fühlte ich mich plötzlich ganz schwach. Ich rutschte auf der Treppe aus und wäre beinahe hingefallen. Deshalb bat ich ihn, mich ins Krankenhaus zu fahren. Nell kümmerte sich um mich und sorgte dafür, dass ich mich mit einem ständigen Vorrat an Suppe und Saft in der Eingangshalle etwas hinlegte. Abends fühlte ich mich schon wieder besser, aber sie bestand darauf, dass ich die Nacht über dablieb.
    Außer ein paar Krankenhausmitarbeitern und freiwilligen Helfern kam während der ganzen Zeit niemand vorbei. Am nächsten Morgen sagte ich zu ihr: »Es ist gar nicht mehr so voll hier.«
    »Nein«, antwortete sie und legte mir auf die Hand auf die Schulter. »Wir hatten gestern gar keine Neuaufnahmen. Zum ersten Mal seit Beginn der Epidemie ist die Anzahl der Patienten gesunken.«
    Ich weiß, das ist nicht der große Durchbruch. Es sind ja inzwischen viel weniger Leute übrig, die noch krank werden könnten. Aber die Stadt ist nicht vollkommen leer. Diejenigen, die bis jetzt überlebt haben, halten sich bestimmt an die Vorsichtsmaßnahmen, und die sorgen dafür, dass sie gesund bleiben. Und wenn das Virus keine neuen Opfer findet, dann wird es langsam verschwinden.
    Bevor ich die Klinik wieder verließ, ging ich hinauf zu Meredith. Sie ist immer noch im Fieberwahn, aber zwischendurch gibt es ab und zu Momente, in denen sie kurz zur Ruhe kommt. Das ist doch schon mal eine kleine Besserung.
    Als ich zurück zum Haus kam, war Tessa gerade dabei, am Wohnzimmerfenster Blumentöpfe mit Erde zu füllen. »Hier kommt vielleicht genug Sonne hin, damit etwas gedeiht«, sagte sie, und ich hätte sie dafür küssen können. Stattdessen entschied ich mich, uns eine Kanne Tee zu machen. Wir saßen eine Zeitlang im Esszimmer, nippten an unseren Tassen und sagten nichts. Dann begann eine Gruppe Eichhörnchen vor dem
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