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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Autoren: Astrid Herbold
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halb verdaute Essensbrocken aus Bob-der-Baumeister-Bettzeug geklaubt und Laken über dem Klo ausgewaschen hat, wer nie auf Knien im Hochbett, am Hochbett und ums Hochbett herum die übrigen rotbraunbröckeligen Kotzespritzer aufgewischt hat, wer nie nach solchen Taten gegen fünf Uhr früh ins Bett gewankt und Punkt halb sieben wieder aufgestanden ist, um die Erste beim Kinderarzt zu sein, wer nie noch Tage später den Geruch sauren Mageninhalts aus dem Kinderzimmer wegzuschrubben versucht hat, der weiß nicht, wie Muttersein wirklich schmeckt – und riecht.
    Nicht nur wegen ihrer unleugbaren Qualitäten im Kotzeaufwischen sind Mütter die besten aller Menschen. Mütter sind edel, hilfreich und gut. Bärenstark, mutig, selbstlos. Einen ersten Vorgeschmack auf diese Charaktereigenschaften, die in der vormütterlichen Phase von zeitgemäßeren überdeckt waren – dem Weil-ich-es-mir-wert-bin- und dem Man-gönnt-sich-ja-sonst-nichts-Charakterzug –, hatte man schon während der Schwangerschaft bekommen, wenn nämlich der mitfühlenden Tränen kein Halten mehr war, sobald ein Kind über den Bildschirm tollte. Im wirklichen Leben waren sie einem dagegen immer noch ein bisschen zu frech und zu laut. Sobald aber im Fernsehen ein lachendes Kind einer lachenden Mutter auf den Schoß sprang oder ein weinendes Kind einer weinenden Mutter an die Schulter sank, oder womöglich ein lange verloren geglaubtes übergewichtiges Kind jenseits der 45 einer lange verloren geglaubten Mutter, die in der Zwischenzeit auch nicht gerade zu ihrem Vorteil gealtert war, in einer Nachmittagstalkshow linkisch in die Arme fiel, während der Moderator seinem Aufnahmeleiter das Zeichen gab, die bei solchen Anlässen übliche Kassette mit Heintjes »Mama« abzunudeln, um dann langsam in die Werbepause überzuleiten, dann ging auch auf der heimischen Couch ein werdendes Mutterherz über vor Kitsch und Rührung. Krimis dagegen, in denen bleich geschminkte, großäugige Kinder von fiesen Menschen hässlich behandelt wurden, konnte man neuerdings wegen permanenten Tränenschleiers nicht mehr sehen, geschweige denn psychisch verkraften.
    Wer es noch nicht selbst erlebt hat: Die Mutterwerdung entspricht ungefähr einer mittelschweren Gehirnwäsche und führt über zähe Stunden am CTG, einen sechswöchigen Geburtsvorbereitungskurs bei einer Hebamme, deren Tonfall und Lieblingswort »sanft« ist, bis hin zu Blasensprung, Einlauf, Intimrasur. In dieser Zeit der freudigen Erwartung herrscht indes eine strikte Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die Schwangeren mit Mann, zu diesem Zeitpunkt noch deutlich in der Überzahl, sitzen zu zweit beim Ultraschall – »Schatz, hier, guck mal, wie süß, es nuckelt am Daumen!« –, halten Händchen bei der Vorführung der Gebärwanne – »Schatz, guck mal, wie groß die ist, da würdest du sogar noch mit reinpassen!« –, massieren sich gegenseitig die dicker werdenden Bäuche während der Atmungs- und Entspannungsübungen – »Schatz, fühl mal, jetzt strampelt es gerade wieder!« – und halten sich für die großen Gewinnerinnen der Vereinigung.
    Die männerlosen Kugelbäuche dagegen blättern beim Frauenarzt lustlos in Gratis-Ratgebern, auf deren Titelblättern blonde Grazien in weiten Kleidern und die dazugehörigen stattlichen Männer vor bunten Blumenwiesen gezeigt werden – wobei er ihr von hinten liebevoll um den gewölbten Bauch fasst. Die allein stehende Schwangere muss sich bei diesem Anblick fast übergeben. Übrigens zum siebten Mal heute. Und soweit sie sich erinnern kann, hat ihr dabei in den letzten Wochen niemand von hinten den Leib gestreichelt oder auch nur die Haare aus dem Gesicht gehalten.
    Das unberechenbare Unwohlsein hält noch lange an. Bei der Kreißsaalbesichtigung steht sie deshalb ein wenig abseits hinter den 24 Händchen haltenden Paaren. Auch, um nicht zu viele neugierige Blicke auf sich zu ziehen. Zum Glück hat sie zumindest einen speziellen Geburtsvorbereitungskurs für Singles aufgetan, der zwar leider nur donnerstagabends und dreizehn Kilometer entfernt angeboten wird, aber dafür sind die Verlassenen hier unter sich. Alles in allem: ein gutes Gefühl. Seelenruhig rollt sie dort fremden Frauen bei den Partnerübungen genoppte Gummibälle über die breiten Rücken und sinnt über die Frage nach, welche der vielen hilfsbereiten Ich-kann-aber-echt-kein-But-sehen-Freundinnen sie mit ins Krankenhaus nehmen könnte. Und ob und auf welchem Weg sie dem flüchtigen Erzeuger hinterher eine
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