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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Autoren: Astrid Herbold
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jedem Wetter Mütze und Strumpfhose aufdrängen, bis in die Sommermonate und bis zur Pubertät. Du sollst deinen Kinderwagen zweihändig schieben. Diese Regel gilt übrigens ausdrücklich nur für Mütter, nicht für Väter. Achten Sie mal darauf – Mütter schieben die Kinderwagen ihrer Kinder, wie sie die Autos ihrer Männer fahren: flachschuhig und zweihändig, konzentriert und aufmerksam, vorausschauend und defensiv. Das einzige Signal, das sie dabei aussenden: »Seht her, ich übe eine sehr ernste, verantwortungsvolle und tagfüllende Tätigkeit aus. Ich schiebe mein Kind durch die frische Luft.«
    Männer dürfen Kinderwagen einarmig schieben, während ihre andere Hand lässig in der Hosentasche ruht oder – noch lässiger – eine Zigarette hält. Und sie schaffen es dabei trotzdem, auf außenstehende Beobachterinnen nicht wie böse rauchende Rabenväter zu wirken, sondern äußerst positive Signale auszusenden: »Seht nur, ich schiebe einen Kinderwagen, ich bin also ohne Zweifel ein liebender, sorgender, verantwortungsbewusster Vater. Und seht nur, ich schiebe ihn sogar einhändig, weil ich natürlich auch ein cooler liebender, sorgender, verantwortungsbewusster Typ bin. Und schaut her, eine Hand habe ich noch frei, da könnte ich noch locker nebenbei ein Handy bedienen, um erfolgreich meinem höchst interessanten Beruf nachzugehen. Oder ich könnte sogar, wenn ich wollte, eine Frau umarmen. Und vielleicht bist du bald die Glückliche …«
    Apropos, eine weitere wichtige Mütterregel lautet: Wer einen Mann hat, den er noch eine Weile behalten will, sollte ihn nicht zu oft alleine und einarmig den Kinderwagen spazieren fahren lassen.
    Wenn man diese ersten Basisregeln verinnerlicht hat, kommen die anspruchsvolleren Lehrsätze, deren zentrale Bedeutung für den friedlichen Fortbestand der Menschheit niemand je zu bezweifeln gewagt hat: Du als Mutter sollst Kinder jeden Alters liebreizend finden, ihre Frageorgien sollen dir Inspiration, ihr Bewegungsdrang soll dir heilig, ihr Lachen Musik in deinen Ohren sein. Dein innigster Berufswunsch soll sein: Kinderbuchautorin. Und weil deine Mutterschaft eine so komplizierte wie ehrenvolle Aufgabe ist, darf so wenig kostbare Kindheitszeit wie möglich mit Fremdbetreuung verplempert werden. Nicht mal nahen Verwandten ist in dieser Hinsicht über den Weg zu trauen. Denn Mutterschaft funktioniert streng monokausal: Ergebene Mütter ergeben gute Kinder. Muntere, wohlerzogene, aufgeweckte, mitfühlende Wesen, die im Sandkasten gerne ihre Schaufeln und Bagger teilen, die zu Erwachsenen »danke« und »bitte« sagen, die sich am Telefon mit ihrem vollen Namen melden und derer man sich auch sonst nicht schämen muss. Denn wenn sich angesichts dieser Welt der Massenmörder und Kinderschänder, Terroristen und Neonazis, Arbeitsverweigerer und Arbeitsplatzvernichter, Regenwaldabholzer und Legebatterie-Eieresser irgendjemand schämen muss, dann sind es ja wohl die Mütter dieser Leute. Eindeutig waren das, pardon, klägliche Versagerinnen.
    Bei aller Vorbildfunktion muss sich eine gute Mutter aber auch einen Rest krimineller Energie erhalten. Sie muss die Bilder, von denen ihr hochkreativer Spross ungefähr 400 Stück am Tag malt, nachts heimlich und leisen Fußes zum Altpapiercontainer tragen. Sie muss undefinierbare Überraschungseier-Plastikteilchen, mit denen das Kind zwar noch nie gespielt hat, gegen deren Entsorgung es sich aber mit der gesamten trotzigen Kraft seines jungen Lebens stemmen würde, verschwinden lassen. Von argwöhnischen Nachfragen und sich erhärtenden Verdachten – »Mama, hast du die etwa weggeschmissen?« – muss sie geschickt abzulenken verstehen: »Nein, natürlich nicht. Ich gehe doch nicht an deine Sachen.«
    Darüber hinaus muss die fürsorgende Mutter lernen, alternde Weihnachtsmänner und Osterhasen nicht plötzlich, sondern Zentimeter um Zentimeter aus dem kindlichen Blickfeld zu rücken, um sie zuletzt unauffällig unter einer Schicht Kartoffelschalen im Mülleimer zu begraben. Und sie muss sich in der hohen Kunst des Geschenke-Verschenkens üben. Geschenke verschenken bedeutet nichts anderes als die Rückführung billiger Kinkerlitzchen, die der letzte Kindergeburtstag zuhauf angespült hat, in den ewigen Kreislauf des Weiterschenkens. Natürlich ohne dass das eigene Kind bemerkt, wie man die achte Packung Buntstifte, den 43. Schreibblock und das 219. Pixibuch einfach wieder verpackt und weitergereicht hat.
    Diese vielen neuen Aufgaben im
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