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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Autoren: Astrid Herbold
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und bleich.
    Ja, wo Mütter sind, da lasse man sich ruhig nieder. Man muss nur darauf achten, immer als Erste zu kommen und als Letzte zu gehen. Dann können sie nicht über einen ablästern. Nicht, dass man ihnen überhaupt einen Anlass bieten würde. Schließlich sind das Leon-Kind und die Leon-Mama nach eigener Ansicht ziemlich perfekt. Nicht zu dick, nicht zu dünn, nicht zu lasch, nicht zu streng, nicht zu aggressiv, nicht zu schüchtern. Genau richtig halt. Bis auf den kleinen Makel, dass sie nur zu zweit sind. Aber das weiß man hier auf dem Spielplatz sowieso. Weil: Kaum eine von den anderen Mamas konnte sich damals, als man sich beim Babyschwimmen kennen lernte, länger als eine Woche auf die neugierige Zunge beißen, bevor sie betont beiläufig die entscheidende Frage stellte: »Und zu seinem Vater hat der Leon gar keinen Kontakt?«
    Die meisten begnügten sich mit einem freundlichen »Nein«. Nur ein paar besonders Mitfühlende, darunter die Verhungerte und die mit den nervigen Geigenkindern, wollten sich damit partout nicht zufrieden geben: »Das kann ich mir ja gar nicht vorstellen. Dass sich ein Vater nicht für sein Kind interessiert. Wie konntest du denn an so einen geraten?«
    »Keine Ahnung. War wohl was rein Chemisches zwischen uns. Du weißt schon, die geheime Anziehung der Intimgerüche und Körperflüssigkeiten. Und natürlich war der Sex exorbitant.«
    Sie fragten dann übrigens nie wieder. Sondern guckten einen seitdem immer mit so einer Mischung aus Erstaunen und Neid an. Wahrscheinlich malten sie sich dabei ängstlich aus, was man über ihre glatzköpfigen Versicherungsvertreter-Ehemänner dachte. Und sagte.
    Apropos Neid: Bald gab es noch einen sehr viel reelleren Grund, warum die Verheirateten missgünstig zur Single-Mutter rüberschielten. Als nämlich Post vom Bezirksamt kam. Stolz wedelte die Leon-Mama mit dem Brief in der Hand: Ja, stand dort, man sähe sich in der Lage, das Kind ab kommender Saison in einer städtischen Kindergarteneinrichtung aufzunehmen, weil, wie von Seiten der Frau Mutter durch etliche Belege glaubhaft nachgewiesen, tatsächlich großes Alleinerziehenden-Elend und höchste Dringlichkeitsstufe für eine Fremdbetreuung vorlägen. Da wurde den anderen Mamas, die alle eine Absage bekommen hatten, langsam klar, dass Leon nicht nur diesmal das Rennen um den heiß ersehnten Platz gemacht hatte. Sondern ihnen aller Voraussicht nach in 4 Jahren auch den Hortplatz, in 10 Jahren den Platz im Hochbegabten-Gymnasium und in 17 Jahren den Platz an der Elite-Uni wegschnappen wird. Weil die Kinder der verdammten Alleinerziehenden einfach immer und überall bevorzugt werden.
    Und während sie heimlich darüber nachdachten, ihre Ehen zu annullieren, ihre Bedarfsgemeinschaften aufzulösen, Arbeitsverträge zu fingieren und Studienbescheinigungen zu fälschen, um ebenfalls in den Genuss eines Betreuungsplatzes zu kommen, heuchelten sie der Leon-Mama gegenüber lautstark Freude. Aber auch leise pädagogische Besorgnis.
    »Wie du das jetzt schon kannst, dich von deinem Kind trennen – also ich kann mir das noch gar nicht vorstellen.«
    »Ist das noch so wie in der DDR, dass schon die Einjährigen stundenlang auf dem Töpfchen sitzen müssen?«
    »Bieten die auch Naturkunde- und Englischunterricht für Zweijährige an? Das wäre mir persönlich ja wichtig.«
    »Und wie sind die anderen Eltern so, sind das auch alles, eher, äh, sozial Schwache …«
    Ja, antwortete die Gefragte, das sind auch alles arme Mütter in großer Not, die arbeiten gehen wollen, äh: müssen. Müssen. Müssen. Weil es kein anderer für sie tut. Leider, leider.
    »Ihr könnt mir glauben, es fällt mir auch sehr, sehr schwer, Leon jetzt schon abzugeben. Und wie ich diese Vormittage mit euch hier auf dem Spielplatz erst vermissen werde«, seufzte die arme Alleinstehende zum Abschied laut, damit es auch wirklich alle Umsitzenden hören konnten. Im Stillen aber dankte sie Gott im Himmel, dass er ihr in seiner unendlichen Weisheit keinen irdischen Ernährer geschickt hatte. Und brachte ihr Kind von nun an jeden Morgen in einen backsteinernen Kindergarten mit großer Gartenanlage, viel wertvollem Holzspielzeug und noch mehr kuschelig-dicken Kindergärtnerinnen – wobei das Leon-Muttersöhnchen nur ganz selten herzerweichend heulte, und das auch nur, bis die Leon-Mama doch ein bisschen schuldbewusst um die Ecke gebogen war.
    PS: Es wurde dann mit den Jahren übrigens immer besser. Kein Elternabend verging, auf dem sich
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