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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Autoren: Astrid Herbold
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Damals also, als sie noch so hochmütig war, sich »jung« und »unkonventionell« vorzukommen – weshalb sie ihre Mutter insgeheim ein wenig dafür verachtete, dass sie jahrzehntelang klaglos die Edelstahltöpfe hervorgeholt, vollgekocht, leergekratzt, gespült und wieder im Einbauküchenschrank verstaut hatte –, damals konnte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen, dass auch das eigene ausgeflippte Leben eines Tages zu einem Abarbeiten von Putz- und Besorgungslisten verkommen würde.
    Heimtückisch und schleichend war die Verwandlung vor sich gegangen: Erst war da dieser nette Mann, in den sie schrecklich verliebt war und der es offenbar ebenfalls war – jedenfalls ging er plötzlich in der Wohnung ein und aus. Abends kam er fast immer, am Wochenende sowieso. Dass Schlafen, Essen und Fernsehen irgendwie immer bei ihr stattfanden, hatte keinen tieferen Grund. Bei ihr war es halt einfach ein bisschen gemütlicher. Meistens waren Klopapier, Nudeln und Tomatensauce vorrätig, während der Kühlschrank seiner Männer-WG immer leer war und immer komisch roch. Ob es zwischen diesen beiden Tatsachen einen kausalen Zusammenhang gab, konnte nie zweifelsfrei geklärt werden. Irgendwann jedenfalls stand sein zweites Paar Schuhe im Flur und eine Wochenration frischer Unterhosen und Pullover wurde provisorisch in ihrem Bücherregal deponiert. Ach, und seine dreckigen Socken lagen gelegentlich auf dem Fußboden rum. Natürlich hob er sie damals noch umgehend auf, wenn sie ihn darum bat, und versäumte es auf dem Weg zur Socke nie, einen zarten Kuss auf die Wange der Geliebten zu hauchen. Aber sie bat ihn selten – sie war schließlich voll in love und nicht in der Stimmung, so profane Worte wie »deine Socken« zu sagen. Stattdessen fing sie schließlich an, die Socken der Einfachheit halber mitzuwaschen.
    »Das musst du wirklich nicht machen«, säuselte er gespielt empört, als es ihm auffiel.
    »Das macht doch überhaupt keine Mühe«, säuselte sie zurück.
    Die ersten Jahre vergingen. Die erste Verliebtheit auch. Die dreckige Wäsche aber blieb und machte jetzt Mühe. Denn zu den Socken waren die Hemden und Hosen, die T-Shirts und Handtücher gekommen. Die Waschmaschine war im Dauereinsatz. Auch, weil er einen echt nervigen Sporttick hatte, viermal die Woche zum Training, das ist doch nicht normal. Und dann sein Appetit. Es beeindruckte sie nachhaltig, was ein Mann so alles essen kann im Laufe eines langen Tages. Wahrscheinlich lag sein unstillbarer Hunger auch daran, dass er die Hälfte der Mahlzeit unter den Tisch zu krümeln pflegte. Jedenfalls musste auf einmal ständig eingekauft und ständig gesaugt werden. Und weil man anfangs in ihrer Wohnung lebte, blieb das automatisch weiter ihre Aufgabe.
    Immerhin tat er ja auch etwas. Nicht gerade waschen oder putzen, auch nicht einkaufen oder bügeln, nein, aber er brachte ab und zu – für ihren Geschmack allerdings viel zu selten – Altpapier und Altglas weg, besorgte das Bier, das er dann selbst trank; er bohrte gelegentlich Löcher für neue Küchenregale in die Wände, und einmal baute er einen neuen Putzschrank für ihre vielen Flaschen und Eimer auf. Wenn er einen außerordentlichen Anflug von Romantik verspürte, hängte er sogar die Wäsche ab. Aber alles andere war anscheinend in ihre Zuständigkeit übergegangen. Selbst die Verhütung. Nicht dass die Pille viel Mühe machte, aber trotzdem war es doch immer sie, die sich nun in regelmäßigen Abständen stundenlang den Hintern im Wartezimmer des Frauenarztes platt sitzen musste.
    Apropos stundenlanges Warten in der Frauenarzt-Praxis – als die Kinder kamen, erweiterte sich ihr häuslicher Tätigkeitsbereich sprunghaft ins Unermessliche. So klein und unschuldig diese Kreaturen auch aussehen, Dreck und Müll produzieren sie in absurdem Ausmaß. Ergo: Es wurden noch mehr Ober- und Unterteile, die zu waschen, aufzuhängen, wegzuräumen waren. Noch mehr Bananen, Papiertaschentücher, Roggenbrote mussten angeschleppt werden. Noch mehr leere Apfelsaftflaschen, Milchkartons, Nutella-Gläser mussten entsorgt werden. Noch mehr kleine und große Menschen kleckerten Kakao auf die Tischdecke, bröselten Knäckebrot hinein, spuckten Griesbrei obendrauf und verteilten das Ganze dann blitzschnell großflächig über Tische, Stühle, Bänke und Böden.
    Sie legte den Spüllappen kaum noch aus der Hand. Höchstens, um den Handfeger hervorzuholen. Oder den Wischmopp. Sie fing an, sich wie eine – igitt! Hilfe!
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