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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Autoren: Astrid Herbold
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Ferienwohnungen. Zum Teufel mit Bügelorgien und Barbietaschen und Beifahrersitzen.
    Und in dieser Nacht träumt die Patchwork-Mama einen wunderschönen Traum: Die Welt war leer und stille. Nur sie fuhr mit einem Auto eine Straße entlang. Die Kurven nahm sie sachte und umsichtig. Waghalsige Lenkmanöver vermied sie. Denn hinten auf der Rückbank schliefen eng aneinander gekuschelt ihre Kinder. Traulich und hold. Da kurbelte sie im Traum das Fenster der Fahrertür herunter, zündete sich eine Zigarette an und blies friedlich den Rauch in die Dämmerung. Dann drehte sie vorsichtig das Autoradio an – und zwar den volkstümlichen Schlagersender, den der musikalisch anspruchsvolle Lebensgefährte sonst immer mit einem Stöhnen weitergeschaltet hatte – und fuhr leise singend zwischen nebeligen Wiesen dahin.
    »Du, Schatz« – am nächsten Morgen nach dem kärglichen Urlaubsfrühstück ohne Brötchenservice lehnte sie sich freundlich zum Vater der einen Hälfte ihrer Kinder rüber: »Du, Schatz, willst du nicht mal Zigaretten holen gehen?«
    »Wer, ich?«
    »Ja.«
    »Ich brauch keine Zigaretten.«
    »Egal. Geh trotzdem. Bitte.«
    »Nein, ich geh jetzt nicht. Und wieso überhaupt. Willst du etwa wieder anfangen mit Rauchen? Du hast mir doch versprochen …«
    »Kannst du nicht einfach gehen? Ohne mit mir zu streiten? Einfach gehen und Zigaretten holen.«
    »Spinnst du, was redest du denn da?«
    »Geh doch bitte einfach mal ins Dorf Zigaretten holen. Und lass dir ruhig Zeit. Ich komm schon klar hier.«

Ein wirtschaftswunderliches Märchen
    E s war einmal eine Mutter, die hatte vier Kinder. Nicht, dass sie gehungert hätten. Aber Not war dennoch in allen Ecken. Die Wohnung war eng, die Fahrräder waren rostig, die Schuhe abgewetzt. Lange schon hatte die Mutter nach einer Arbeit gesucht, aber keine bekommen können. Denn im ganzen Königreich herrschten strukturelle Arbeitslosigkeit und Mangel an verantwortungsvollen Teilzeitstellen. Trotzdem lief sie weiter von Tür zu Tür, verkündete überall, dass sie bereit sei, auch schwere Arbeit zu tun, dicke Brote aus heißen Öfen hervorzuholen, große Kissen aus kleinen Fenstern zu schütteln, rote Äpfelchen von grünen Apfelbäumchen zu pflücken. Aber wie viel sie auch jammerte und klagte, ein jeder, den sie um Hilfe bat, rief ihr zu: »Scher dich von dannen, altes Weib, wir haben selbst nicht genug zu tun.«
    »Ach, ich Arme, was soll nur aus mir und den Meinen werden?«, sprach sie tagein, tagaus und wälzte sich sogar des Nachts vor Sorgen in ihrem Bette. Doch als die Kinder eines Samstagnachmittags mit ihrem Vater zu einem Waldspaziergang ins städtische Umland aufgebrochen waren und die Mutter daheim über den Online-Jobbörsen verzweifelte, kam ihr mit einem Mal die zündende Idee. Als der nächste Montag anbrach, kaufte sie sogleich von einer fliegenden Händlerin einige wertvolle Sachbüchlein. Und dort fand sie tatsächlich die viel versprechenden Hinweise, dass sich in der heutigen Unternehmensorganisation deutliche neoliberale Veränderungen in Richtung Privatisierung, Dezentralisierung, Outsourcing von Leistungen und Spezialisierung feststellen ließen. Und dass der flexiblere Personaleinsatz auch durch die modernen Informations- und Kommunikationstechniken ermöglicht würde: virtuelle Netzwerke, Telearbeit, Projektarbeit durch Kooperationen mit Freelancern.
    Ist dies nicht eine märchenhaft schöne neue Welt, freute sich da die Mutter, da lasse ich mich doch gerne projektbezogen einbinden, werde ein Knoten im virtuellen Netzwerk, integrativer Bestandteil der neuen Marktwirtschaft. Und obendrein sitze ich gemütlich mit den Kindern im Sandkasten in der Nähe des Hot Spot, Handy-Freisprechanlage im Ohr, WLAN-Laptop auf den Knien. Schon sah sich unsere junge Mutter als Vorreiterin einer neuen Arbeits- und Lebenskultur, eines perfekten Brückenschlags zwischen Karriere und Kinderkiegen, als glamouröses Beispiel gekonnter weiblicher Work-Life-Balance im Sinne eines ganzheitlichen dienstleistungsorientierten Feminismus. Ihre Mutterschaft wäre nicht länger ein peinlicher biografischer Makel, sondern eine weitere Qualifikation, ein Leistungsmerkmal, ein emotionaler und sozialer Pluspunkt auf ihrem Soft-Skills-Konto.
    Heroische Reden gingen in den folgenden Wochen ihren Taten voraus. »Weg mit den inhaltlich unbefriedigenden Teilzeitstellen, die zu ergattern uns ohnehin nie gelingen wird! Weg mit der Versorgerehe! Weg mit schlechter Steuerklasse und Arbeiten als
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