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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Autoren: Astrid Herbold
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Tüte.«
    »Hier sind nur Kekse.«
    »Obendrauf.«
    »Hier ist nichts.«
    Woraufhin an einem Parkplatz gehalten werden muss und die Pilotin kurz Essen und Getränke serviert.
    »Soll ich nicht lieber wieder fahren, Schatz?«, fragt zärtlich der Hilfskellner. Was sie resignativ bejaht.
    Früher wären solche Pärchen-Reisegewohnheiten undenkbar gewesen. Aber da war sie ja auch noch ein einsamer Single. Wenn der kleine Hunger kam, musste sie mit dem Kind in ein ICE-Bordrestaurant gehen. Wo sie 16 Euro für ein Croissant, einen Kaffee und ein Wasser bezahlte und dafür die weißen Tischdecken und den zuvorkommenden Diensteifer des Mitropa-Personals ertrug. Was sie sich da alles zugemutet hat. Wie viel schöner ist es da doch auf dem unbequemen, weil viel zu weit nach vorne gestellten Beifahrersitz eines verkrümelten Gebrauchtwagens, mit Trinkpäckchen und Wurststullen zwischen den Knien. Und wie laut es hier heute wieder ist. Ganz anders als in einem langweilig-gediegenen Bordrestaurant.
    Wirklich, im Auto ist mittlerweile kein Wort mehr zu verstehen. Selbst die in ihren 7er BMWs auf der linken Spur vorbeirauschenden armen kinderlosen Doppelverdiener können neidisch die Scheiben des schmutzigen, alten Kombis von Schallwellen vibrieren sehen. Wer jemals vorhat, eine kinderreiche Patchwork-Familie zu gründen, der sollte wissen, dass es bei längeren Autofahrten nicht anders zugeht als bei einer biologisch homogenen Familie. Nämlich: lebhaft. Um die Musikauswahl und die Sitzplätze wird wortgewaltig diskutiert, unabhängig davon, ob und wie blutsverwandt die Insassen sind. Mit dem Ergebnis, dass egal, wer wo sitzt und welche Kassette gerade läuft, immer mindestens zwei von drei Kindern, sagen wir mal, nicht ganz zufrieden sind.
    Leere elterliche Drohungen – »Wenn jetzt nicht endlich Ruhe ist, dann drehen wir sofort um und fahren wieder nach Hause« – hat man sich zum Glück schon lange abgewöhnt, vor allem, weil sie einem zu komplizierten kommunikativen Regelwerk unterlagen. Grundsätzlich galt nämlich: Ermahnen durften die anwesenden Elternteile in erster Linie die Kinder, an deren leiblicher Entstehung sie zweifelsfrei beteiligt waren. Mehrmals. Erst dann war es dem jeweiligen Stiefelternteil unter Umständen erlaubt, ins gleiche Horn zu stoßen.
    Insgesamt bedurfte jede Form der Einmischung eines ausgeprägten Fingerspitzengefühls: Denn man stand ja immer grundsätzlich unter dem Verdacht, entweder die eigenen Kinder zu bevorzugen oder die Stiefkinder zu benachteiligen. Oder umgekehrt. Der Verdacht wurde von den Kindern selbst zwar nie artikuliert, aber das Servicepersonal auf dem Beifahrersitz überprüfte dennoch sicherheitshalber jede seiner Äußerungen auf ihren unanfechtbaren Gerechtigkeitsgehalt.
    Irgendwann nahm man dann von fruchtlosen Ermahnungen ganz Abstand, überließ das Erziehen von montags bis freitags denen, die dafür bezahlt wurden, und die Kinder sich selbst. Und dass es zwischen denen gelegentlich zu Morddrohungen und Totschlagsfantasien kommt, heißt ja noch lange nicht, dass sie sich nicht mögen und schätzen. Im Gegenteil. Anschaulich beweisen die Dialoge auf der Rückbank, dass hier längst zusammengewachsen ist, was ursprünglich nicht zusammen gezeugt worden war. Von der anfänglich schüchternen Zurückhaltung keine Spur mehr. Stattdessen herrscht ein sehr offenes geschwisterliches Verhältnis.
    »Wann können wir endlich Conny hören?«
    »Äh, Conny. Ist doch was für Babys.«
    »Gar nicht.«
    »Conny, Conny mit der Scheiße im Haar.«
    »So heißt das gar nicht. Du bist doof.«
    »Selber doof.«
    »Wer es sagt, der ist es selber.«
    »Selber, selber, lachen alle Kälber. Lacht der ganze Hof und du bist doof.«
    In Ermangelung weiterer gereimter Repliken stößt das mittlere Kind an dieser Stelle das große Kind mit dem Ellbogen in die Seite. Woraufhin das große Kind das mittlere sanft auf den Arm haut. Es folgt: Geschrei.
    »Papa, Anne hat mich gehauen.«
    »Du hast doch angefangen, du alte Petze.«
    »Gar nicht. Du.«
    »Nein du.«
    »Nein du.«
    »Nein du.«
    »Nein du.«
    »Petze, Petze ärgert sich, ärgert sich die ganze Nacht, hat vor Schreck ins Bett gemacht.«
    Es fällt schwer, sich beim unkommentierten Ertragen solcher Konversationen nicht wie eine echte Familie vorzukommen. So vom Gesamtgefühl her. Das ist es, denkt die auf dem Beifahrersitz eingequetschte Mama, das pralle Leben, das ich immer haben wollte.
    Und dabei bilden die fünf Autoinsassen sozusagen nur
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