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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene
Autoren: Oskar Maria Graf
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und dann durfte ich die Summe im Buch lesen. Aber das durfte Max nicht wissen. Der hatte überhaupt so seine eigenen Ideen mit mir. Als er heimkam vom Militär, sagte er kurzerhand: »Der muß Schiffsjunge werden!« Er schnitzte mir eine Armbrust und wollte mir das Schießen beibringen, aber die Konstruktion stimmte nicht, und die Armbrustübungen hörten schnell auf. Hierauf mußte ich das Zitherspielen lernen. Kaum kam ich von der Schule heim, ging das Üben an. Immer das gleiche, die Noten und dann endlich die Melodie »Rosenstock, Holderblüh!« Aber ich lernte nichts, wenngleich alle Strenge angewandt wurde. Den Schneider, bei dem ich die Zitherstunden nahm, bestach ich mit Brot und Biergeld. Er gab sich keine Mühe mehr. Mir wurde die Zither so verhaßt wie eine Marter. Eines Tages, als Max abends fortging und ich zum Schneider gehen sollte, lauerte ich hinter dem Nachbarzaun so lange, bis ich von meinem Bruder nichts mehr hörte. Dann öffnete ich den Zitherkasten, tat Sand und Steine hinein und versenkte das verhaßte Instrument im Weiher beim Nachbarn. Am , als ich spielen sollte, fand sich die Zither nicht mehr. Ich log und log und bekam schließlich furchtbare Prügel, aber ich war erlöst. Seit dieser Zeit hielt die strengste Zucht an. Es war bloß gut, daß ich bald darauf aus der Schule kam und nachts arbeitete.
    So ging es beinahe zwei Jahre. Langsam hörten unsere indianischen Rachefeldzüge auf. Ein Geselle hatte das Buch Wie werde ich Erfinder. Ich las es, und mein Leben bekam eine andere Kurve. Durch eben denselben Schuster, der für uns immer die Nachnahmen einlöste, bestellte ich technische Schriften. Ich begann zu zeichnen. Alle Schriftsachen wurden im Dachboden versteckt. Ich erfand. - Es war ein Stiefelzieher. Die Zeichnung schickte ich an ein Patentbüro in Kassel. Ein sehr ermunternder Brief, der mir große Aussichten versprach, war die Antwort. Aber man müsse, hieß es, fünfundsiebzig Mark einschicken. Fünfundsiebzig Mark! Mein Herz schlug höher. Mit einer solchen Summe konnte man nach Patentierung Tausende gewinnen. Ich zeigte den Brief ganz insgeheim Theres. Sie war Feuer und Flamme. Mutter wurde eingeweiht. Ich bekam das Geld und sandte es ab. In fünf Wochen war ich Inhaber eines deutschen Reichspatents, versandte gedruckte Prospekte in alle Himmelsrichtungen und wartete siegessicher. Alle Tage kam ich zum Schuster. Lauter Absagen.
    Ein Modell wurde von einer Firma verlangt. Verflucht! Ein Modell! Ein Modell! Weitere sechzig Mark waren dazu nötig, und wieder gaben mir Mutter und Theres das Geld heimlich. Das Modell kam beim Schuster an und - funktionierte nicht. Absage auf Absage kam. Theres lächelte schon. Ich tröstete mich. Edison ist auch nicht von heute auf morgen ein Millionär geworden. Zäh muß man sein. Unermüdlich! Ein neuer Plan! Aus Mecklenburg schrieb ein biederer Mann, daß alle Patentbüros und Anwälte Schwindel seien. Er mache es für –u nd eine genaue, grundehrliche Aufstellung lag bei - den niederen Preis von achtzig Mark und verspreche bei Nichtverkauf der Erfindung Rückvergütung. Es gibt eben doch noch ehrliche Leute auf der Welt, sagte ich mir.
    Die zweite Erfindung wurde losgelassen. Eingeschrieben gingen die Zeichnungen nach Mecklenburg, und wieder binnen fünf Wochen war das zweite Patent erworben. Ein selbstsichziehender Flaschenkork. Ein Massenartikel, eine Millionensache!
    Jetzt schrieb ich persönliche Briefe an die Herren Fabrikanten. Ich schrieb ganz kollegial. Absagen. Ich schrieb noch kollegialer: »Sehr verehrter Herr Direktor oder Werter Herr Bayer! Ich habe eine Erfindung, die Sie in Ihrer Fabrik sicher verwerten können. Ich trete mit Vergnügen alle Rechte an Sie ab um den geringen Preis von 1000 Mark. Mit den besten Grüßen oder Hochachtungsvollst oder Herzliche Grüße, Oskar Graf, Erfinder.« Absage! Ich formulierte: »P. P. Ich habe eben eine sehr geschäftstüchtige Erfindung gemacht. Hier lege ich sie bei. Ich gebe Ihnen alle Rechte für 500 Mark, bin aber auch mit weniger zufrieden. Bitte nehmen Sie mir die Sache ab. Ich könnte schließlich auch mit dreihundert Mark zufrieden sein. Mit Gruß Oskar Graf, Erfinder.« Absage. Oder gar keine Antwort. Nicht einmal fünfzig, nicht einmal dreißig Mark zahlten die Schufte. Die Welt erkannte eben mein Genie nicht. -
    Um diese Zeit kam Maurus von Karlsruhe nach Hause. Er brachte Bücher mit. Eine Unmasse Jugend-Hefte, einen Band Heine, Reclam-Bücher von Stifter, einen Band Uhland,
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