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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene
Autoren: Oskar Maria Graf
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schrie mit, wenn alle schrien, ich stürmte, wenn man stürmte, sonst fast nichts« - aber eben dies: das Staunen, NichtBegreifen und Bloß-so-mal-Dabeisein eines Mitläufers, der am Ende zum Sympathisanten der Revolution wird und im Augenblick der Niederlage plötzlich begreift, wohin er gehört: eben dies sind die Prämissen für jene realistische Beschreibung der Revolution, die den Schwärmern und Schauspielern so gut wie den Dogmatikern mißlingt.
    Wie nah kommen Grafs Beschreibungen der hellsichtigen Analyse Levinés (»Räte-Republik ohne Räte. Proletarische Diktatur ohne Proletariat. Revolutionäre Phrasen ohne revolutionären Inhalt«), wie präzise ist - eben aus der Sicht des Staunenden, der sich >eigentlich alles ganz anders< vorgestellt hatte - seine Darstellung der großen Illusionen auf Seiten der miteinander rivalisierenden Revolutionsidealisten Eisner und Landauer (dazu Toller und Mühsam: Die Boheme auf der Straße), und wie exakt sind seine Skizzen der großen, von revolutionärer Euphorie bestimmten Debatten. Nur Rilke hat die Atmosphäre der Versammlungen - der gleichen, die auch Graf beschrieb: Max Weber aus zweierlei Sicht! - so plastisch wie der Autor der Autobiographie »Wir sind Gefangene«, erhellt. Seltsam, in der Tat: Ein Lyriker mit einer legendären Familientradition und ein weiß-blauer Plebejer als hellsichtiger Analytiker der Münchner November- und Februar-Revolution und des ihr folgenden Triumphs der Reaktion Noskescher Prägung - der Autor des »Stundenbuchs« (dem inhaftierten Graf hilfreich zur Seite stehend), der im Winter 1918/19 für die Publikation eines sozialistischen Lehrerblattes eintrat und der Erzähler der Autobiographie »Wir sind Gefangene«, der sich anno 30 in der Linkskurve gegenüber dem Vorwurf zu verteidigen hatte, er sei ein »schöner Revolutionsheld, ginge mit seinem Liebchen Sekt saufen und ließe andere für sich kämpfen«!
    Man sieht, ein bißchen wirr geht es bisweilen schon zu in der Literatur: zumindest so lange, als alt eingesessene Vorurteile wie das vom volkstümlichen Erzähler, Heimatdichter und roten Ludwig-Thoma-Nachfahr Oskar Maria Graf noch nicht ausgeräumt sind. Das vorliegende Buch beweist: Dieser Mann, bis heute hin unterschätzt, war sehr viel mehr - ein Schriftsteller, der das Programm in praxi zu erfüllen verstand, das er, in seinem Schreiben an die Linkskurve , als für jeden Autor, dem es um die Humanisierung der Gesellschaft ginge, verbindlich erklärte: »Tendenz hin, Tendenz her. Literatur ist: Das Wissen um den Menschen und das Wissen um alle Hintergründe der Welt zu vermehren.«

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