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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient
Autoren: Alena Schroeder
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Du bin. Die Leute sagen nicht: »Ich geh zur Bank.« Die sagen: »Ich geh zu Ingrid, Geld holen.« Das ist schon eine besondere Verantwortung, ich kenne von allen meinen Bekannten hier im Ort die Kontostände. Ich weiß, ob sie Schulden haben oder ein Vermögen, von dem sonst niemand etwas ahnt. Und da ist es natürlich besonders wichtig, dass sie mir vertrauen.
    Deshalb hat mich dieser Finanzcrash so geärgert, schon, weil wir jetzt kaum noch Zinsen zahlen können. 0,2 Prozent auf Dreißig-Tage-Geldanlagen! Da können die Leute ja gleich ihr Geld mit nach Hause nehmen und sich daran freuen. Ein paar Jungs zocken mit hochgefährlichen Anlagen und bringen meinen gesamten Berufstand in Verruf! Und jetzt machen sie gerade so weiter, als wäre nichts passiert.

    Ich kann verstehen, dass die Leute misstrauisch sind. Bin ich ja auch. Mit Geld bin ich sehr konservativ, ich bin der klassische Sparer. Ich habe auch keine Aktien, weil ich nicht gut verlieren kann. Und ich berate meine Kunden auch nicht gern dazu. Das macht ein Kollege, der sich da besser auskennt.
    Ich habe eine Menge Kunden, mit denen ich sozusagen gemeinsam alt werde. Schon vor der Wende war ich hier im Ort und habe in der Bank gearbeitet. Früher war es noch nicht Pflicht, ein Konto zu haben, wenn man zum Beispiel Rente beziehen wollte. Zu DDR-Zeiten wurde die immer am Ersten des Monats bar ausgezahlt. Und nach der Wende, als alle ein Konto einrichten mussten, sind viele immer noch am Ersten gekommen und haben ihre gesamte Rente abgehoben. Weil sie das Gefühl hatten: Wenn ich das Geld nicht in der Hand halte, ist es nicht da.
    Da musste ich eine Menge Überzeugungsarbeit leisten. Es gibt eine alte Dame, die kommt immer regelmäßig, um ihre Kontoauszüge zu ziehen. Und bevor sie an den Automaten geht, fragt sie mich immer: »Ingrid, haste meine Auszüge schon in die Maschine getan? Kann ich schon ziehen?« Diese technischen Dinge sind für die Älteren gar nicht so einfach, und es hat mir immer Spaß gemacht, sie da ranzuführen. Den Bankautomaten zu benutzen zum Beispiel. Oder damit klarzukommen, dass es keine Sparbücher mehr gibt, in die der neue Kontostand immer noch reingestempelt wird. Das ist für viele gar nicht so leicht.

    Eine ältere Kundin kam neulich zu mir und erzählte mir, dass sie Krebs hat und wohl nicht mehr lange leben wird. Sie hat für sich und ihren Mann immer alle Bankgeschäfte erledigt. Und da nahm sie meine Hand und sagte: »Ingrid, wenn ich nicht mehr bin, dann hilfst du ihm dabei, ja?«
    Ich freue mich auch immer über Kinder, die ihre Sparbüchsen bringen. Manche haben auch ein Sparschwein und geben mir den Schlüssel, damit ich darauf aufpasse. Und ein kleiner Kerl kommt regelmäßig rein, weil er gucken möchte, ob ich seine hundert Euro noch habe. Dann halte ich einen Hunderteuroschein hoch, und er ist ganz erleichtert.
    Die jungen Leute halten nicht viel vom Sparen. Einer hat mir mal gesagt: »Ich habe schon gar keine Lust mehr, zur Bank zu gehen, weil ich nicht ständig mit Ihnen übers Sparen labern will.« - »Tja, aber wenn du es nicht tust, dann tut es niemand für dich«, sage ich immer. Ich finde es nicht gut, wenn die Eltern den Jungen immer aus der Klemme helfen. Da kommen die mit Handyrechnungen von tausendsechshundert Euro nach Hause, und die Eltern bezahlen das. Ich sage dann natürlich nichts, aber es ärgert mich schon.
    Natürlich sehe ich, wofür die Leute ihr Geld ausgeben, und manchmal wundere ich mich. Neue Fernseher, neue Computer und das alles, obwohl eigentlich nicht viel Geld da ist. Andere haben schon fast das Gefühl, dass sie sich bei mir entschuldigen müssen, wenn sie mal eine größere Summe abheben. Ich merke richtig, dass es ihnen
ein Bedürfnis ist, das dann zu erklären. Dass sie eine Reise machen wollen zum Beispiel. Dann sage ich: »Ist doch toll, machen Sie das! Mit ins Grab nehmen können wir das Geld ja ohnehin nicht.«
    Viele fragen mich, ob mich das nicht irre macht, den ganzen Tag mit so viel Geld umzugehen. Für mich ist das wie Brötchen verkaufen. Und es hat den Vorteil, dass ich nie krank bin. Kaum etwas ist so dreckig und voller Keime wie Geld, und mein Immunsystem ist mit den Jahren richtig abgehärtet.
    Es hat schon große Vorteile, seine Kunden fast alle persönlich zu kennen. Ich war mal auf einem Polterabend eingeladen, da war ich die
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