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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient
Autoren: Alena Schroeder
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Beinahe 6 % der rund 122000 Sozialarbeiter und Sozialpädagogen in Deutschland sind in Berlin beschäftigt - so viele wie in keiner anderen Region. In der Hauptstadt gibt es laut der Bundesagentur für Arbeit auch den größten Bedarf und den höchsten Anteil an offenen Stellen. +++ 78% aller Studierenden im Fach Sozialwesen sind Frauen.

»Ich bin weder Psychologin noch ein Beichtstuhl.«
    Elke, 58 Jahre, Wirtin, kann Tresenquatscher nicht ertragen und weiß trotzdem über den Zustand aller Ehen im Viertel Bescheid.
    D ie Kneipe ist mein Theater. Hier steh ich auf der Bühne, ich bin die Seele des Lokals. Ich habe schon oft ans Aufhören gedacht. Aber wenn ich mir das dann vorstelle, fällt mir nichts ein, was ich sonst machen wollen würde. Also stehe ich weiterhin sechs Tage die Woche hinterm Tresen, bis morgens um vier. Dann schlafe ich bis eins, und spätestens um 16 Uhr bin ich wieder da.
    Für die Gastronomie muss man geboren sein. Man muss das mit Haut und Haaren wollen, sonst wird man unglücklich. Ich habe zum Beispiel nur sehr wenige Freunde. Bei diesem Lebensrhythmus kann man keine Freundschaften pflegen. Beziehungen sind auch schwierig, man sieht sich ja kaum. Und hier jemanden kennenlernen im Laden, das würde ich nicht wollen, das müsste schon in einem anderen Zusammenhang passieren. Aber dafür gibt es ja kaum Gelegenheit. Trotzdem stehe ich jeden Abend gern hier.

    Man muss für viele Dinge ein Auge haben, es gibt Sachen, die Männer nie sehen würden. Ob die Blumen farblich mit den Tischdecken harmonieren, ob Spinnweben oben in den Ecken hängen. Ich sehe sofort, wenn ein Gast etwas braucht, ich höre, ob irgendwo eine Gabel runterfällt. Ich gebe meinen Gästen das Gefühl: Ich bin für euch da und sorge gern dafür, dass ihr euch wohlfühlt.
    Wir sind ein kleines Traditionslokal mit gutbürgerlicher Küche. Bei uns kommt alles frisch auf den Tisch, von der Bulette bis zum Gänsebraten, wir legen auch unsere Heringe selber ein. Ich habe zu neunzig Prozent Stammgäste, die wollen eben auch eine bestimmte Ansprache haben, wenn sie das zweite oder dritte Mal hier sind: »Ach, schön, dass Sie wieder da sind! Freut mich!«, oder: »Ich könnte Ihnen heute dieses oder jenes empfehlen.« Oder wenn der Gast nicht weiß, wie er was zu essen hat, zum Beispiel eine Seezunge, sage ich: »Trauen Sie sich ruhig ran, das ist ganz einfach, ich zeige es Ihnen, oder ich mache Ihnen das fix und fertig nachher am Tisch!« Das ist es, was mir Spaß macht.
    Früher hatte ich auch eine ganze Menge Tresenhocker hier sitzen. Aber ich hör mir nicht deren Gesülze an, und das haben die auch schnell begriffen. Männer, die einen auf einsam und unglücklich machen, obwohl zu Hause die Frau sitzt und wartet, dass er endlich nach Hause kommt, so was ertrage ich nicht. Ich bin weder Psychologin noch ein Beichtstuhl. Vor vierzehn Jahren, als wir hier angefangen haben, habe ich mir das alles noch angehört, da konnte ich ja keine Gäste vergraulen.

    Das heißt ja auch nicht, dass ich nicht gern quatsche und tratsche, ich finde es natürlich toll, alles zu wissen, was hier in der Nachbarschaft passiert. So weiß ich über den Zustand der meisten Ehen hier in der Umgebung bestens Bescheid. »Mensch, hast du schon gehört, die Soundso ist schwanger!«, »Ach!«, »Mit 45!«, »Um Gottes willen!« - Das sind dann eben Neuigkeiten, die so ausgetauscht werden, das gehört dazu.
    Früher gab es auch mehr politische Debatten hier, das hat auch stark abgenommen. War manchmal natürlich ganz interessant, ist aber auch immer in Streit ausgeartet. Jetzt höre ich manchmal so mit halbem Ohr hin, wenn sich an einem Tisch die Rechtsanwälte oder Architekten über ihre Projekte unterhalten. Manche fragen mich dann auch: »Na, Elke, haste zugehört? Was meinst du denn jetzt dazu?«
    Inzwischen habe ich mir hier schon mein Image als Tresenzicke erarbeitet. Wenn mir jemand blöd kommt oder sich nachts um zwei immer noch an einem lauwarmen Bier festhält, dann setze ich den auch vor die Tür. Mit dem Rauchverbot ist das aber ohnehin weniger geworden. Die, die früher nur zum Biertrinken kamen, kommen immer weniger. Das ist natürlich auch ein großer Umsatzeinbruch. Die kleinen Tische mit den Barhockern hier vorm Tresen, die waren vorher jeden Abend voll. Jetzt sitzt da kaum noch
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