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Wir sehen uns in Paris

Wir sehen uns in Paris

Titel: Wir sehen uns in Paris
Autoren: Brigitte Kolloch Elisabeth Zöller
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ahnt, dass er bald einen guten Plan braucht.
    Das grelle Sonnenlicht tut seinen Augen weh. John blinzelt und biegt rasch nach links ab in eine schattige Gasse. Er streift die schwere Tasche von der Schulter und hockt sich an eine gemauerte Hauswand. Wenigstens ein bisschen kühler ist es hier. Er wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
    Wo steht geschrieben, dass das Leben einfach ist? John atmet tief aus und spuckt dann auf das Pflaster. In den letzten Jahren hat er ziemlich schnell ziemlich viel über das wahre Leben gelernt – und ist trotzdem nicht untergegangen. Ein bisschen stolz ist er schon auf sich, auch wenn alles verdammt hart ist.
    John kommt nicht von hier, ist nicht aus Berlin. Er ist abgehauen, weil er seinen Vater sucht, der auch abgehauen ist. Als John vor ein paar Wochen in die Stadt kam, hatte er sofort ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Die Stadt ist riesig und die Spur, die ihn zu seinem Vater führen sollte, war im Vergleich dazu winzig. Aber John wusste, dass er ihn unbedingt finden muss. Er will, dass er zurückkommt und alles wieder in Ordnung bringt, dass sie wieder wie eine kleine Familie zusammenleben können, auch wenn Mama tot ist: Papa, seine kleine Schwester Marie und er.
    Doch sein Vater hat sich aus dem Staub gemacht. Seitdem hatte John mit Marie in einer Pflegefamilie gelebt. Aber er kam dort nicht klar. Alles, was er anfasste, verwandelte sich automatisch in ein Riesenproblem, auch für seine Pflegeeltern. Marie war ihr Liebling. Ihn lehnten sie ab. John schließt die Augen und denkt an Marie. Er liebt seine kleine Schwester. Sie ist wirklich ein Sonnenschein, aber er konnte so einfach nicht weitermachen.
    Dann hatte sein Vater eine Ansichtskarte geschickt. Aus Berlin. Und er hatte geschrieben, dass er in einem Einkaufsmarkt namens Fabrikkauf jobbte. John hatte herausgefunden, dass der Laden in einer heruntergekommenen Gegend an einem Gleisdreieck liegt. Und dann hatte er beschlossen, von zu Hause abzuhauen und zu seinem Vater zu fahren.
    Er wollte ihn zur Vernunft bringen. Aber John hat ihn verpasst. Vom Marktbesitzer hat er erfahren, dass sein Vater öfter mal für ein paar Tage verschwunden und dann wieder aufgetaucht war. Aber jetzt war er schon eine ganze Weile weg. Und John hat inzwischen keine Hoffnung mehr, ihn hier zu finden, denn er hat längst kapiert, dass sein Vater immer noch trinkt. Bestimmt mehr, als er verträgt, und mehr, als eine kleine Familie aushält. Früher hatte er das nicht begriffen. Und jetzt ist sein Vater nicht mehr da.
    Nun steht John da, hat kein Geld und weiß nicht, wohin er gehen soll. Seit ein paar Wochen haust er im Brachland zwischen den Gleisen. Bei den anderen Straßenkindern, Punks, Obdachlosen und Stadtgespenstern. Seine einzige Beschützerin ist Danni, vor der sonst alle Angst haben – selbst Harpo.
    John steht langsam auf. Er muss zurück zum Markt, ein paar Stunden arbeiten, Leergut sortieren, das Lager aufräumen. Und hoffen, dass Harpo ihn nicht in die Finger kriegt.

Hannah schaut sich um. Hier drinnen im Café ist wirklich nichts los. Dafür sind die Tische im Garten dicht umlagert. Dort spenden große Sonnenschirme Schatten. In der gläsernen Schiebetür zum Garten spiegelt sich vage das Bild eines Mannes. Er ist der einzige Gast, der wie Hannah drinnen sitzt. Der Mann hat sich an einen Einzeltisch in die dunkelste Ecke des Cafés gesetzt. Er ist sozusagen abgetaucht. Einer, der sich unsichtbar machen will. So reglos wie er dahockt, wirkt er beinahe wie tot , denkt Hannah.
    »Hah«, juchzt sie leise. Der Gedanke kommt so plötzlich, dass sie richtig zusammenzuckt. Beinahe hätte sie ihr Glas umgestoßen. Sie nimmt den Stift in die Hand und klappt das schmale blaue Notizbuch auf. Sie weiß es: Die besten Geschichten passieren um sie herum.
    Der geheimnisvolle blasse Mann kommt ihr gerade recht. Sie nippt an ihrem Glas und schielt wieder zu ihm hinüber. Natürlich, sie muss Notizen machen! Für Isabella und für ihr gemeinsames Drehbuch. Später, wenn sie mit der Schule fertig sind, wollen sie Filme machen. Die Geschichten dafür sammeln die beiden schon jetzt fleißig in rosaroten, hellblauen und grünen Notizbüchern, damit sie dann, wenn es endlich losgeht, aus dem Vollen schöpfen können. Alles ist ordentlich durchnummeriert. Heute Morgen hat Hannah das Buch Nummer zehn angefangen. Das heißt, sie hat schon neun fertige Ideengerüste für Drehbücher im Regal, die nur darauf brennen, bearbeitet und
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