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Wir sehen uns in Paris

Wir sehen uns in Paris

Titel: Wir sehen uns in Paris
Autoren: Brigitte Kolloch Elisabeth Zöller
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langweilig und doch angenehm.
    Hannah trommelt mit den Fingern ungeduldig auf den Tisch. Wenn man ihrer Freundin doch nur einen Wecker einbauen könnte, direkt hinter die Ohren. Einen Wecker, der so lange schrillt, bis sie sich endlich auf den Weg macht.
    Ziemlich genau in der Mitte der vornehmen Häuserzeile auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnt Isabella. Links und rechts neben dem Portal des Hauses ruhen gemeißelte Engel auf Podesten. Tiefgrüner Efeu und Weinreben klettern an schmiedeeisernen Gittern die Fassade empor. Das Haus strahlt weiß im gleißenden Sonnenlicht. Schmal gestreifte, mintgrüne und azurblaue Markisen blähen sich leicht in der sacht aufsteigenden Asphalthitze. Hier befindet sich das Beerdigungsinstitut Morgenstern, das von Isabellas Mutter Astrid geführt wird. Bestattungen und Trauerhilfe seit 100 Jahren, ist auf einem großen Werbeschild in feierlich anmutenden dunklen Buchstaben zu lesen.
    Im Fenster steht ein Sarg aus Mahagoniholz. Daneben hängt ein Poster, auf dem ein schmaler Pfad über eine Düne führt. Im gelben feinkörnigen Sand sind die Fußspuren von zwei Menschen zu erkennen. Das Meer am Horizont glitzert tiefblau und sieht fast echt aus. Da wäre ich jetzt gern , denkt Hannah und sehnt sich an einen weiten weißen Strand.
    Dabei ist es hier im Café sehr gemütlich. Und es riecht unglaublich gut nach frisch gebrühtem Kaffee und nach einem Irgendetwas mit Kakao oder Schokolade. Dazwischen ein leichter Hauch von Zitrone und Vanille. Das fühlt sich frisch und prickelnd an und macht Appetit. Hannahs Zungenspitze huscht über ihre Lippen. Der Deckenventilator dreht seine Runden und schickt ein frisches Lüftchen in den Raum. Mit leisem Wusch, Wusch, Wusch durchschneiden seine drei Flügel aus rauchgelbem Plastik die Luft.
    Hannah könnte jetzt auf der Stelle eine Filmszene daraus machen. Vielleicht etwas Dramatisches. Dabei geht es dem Ventilator doch wie ihr. Er dreht sich um die eigene Achse und schaufelt Luft. Das ist wie beim Warten auf Isabella: auf die Uhr schauen, zur Tür sehen, jeden Hereinkommenden mustern – nach immer wieder dem gleichen Takt. Und schon geht es in die nächste Runde: Auf die Uhr sehen, …
    Hannah seufzt und kratzt verstohlen an einem Mückenstich knapp unter dem Lederriemen ihrer Sandalen. Dann schaut sie wieder hinaus auf die flirrende Straße. Aber Isabella ist nicht in Sicht.

John fegt mit einer raschen Handbewegung eine Haarsträhne aus der Stirn. Er spürt, wie ihm der Schweiß in den Nacken rinnt und unter seinem Shirt versickert. Er hat seine graue Kapuzenjacke um die Hüften geschlungen. Die Riemen der großen abgewetzten Sporttasche drücken auf seine Schulter.
    Die Uhr über dem Spätkauf an der Kreuzung zeigt 14:35 Uhr. John hat alles im Blick, er ist immer auf dem Sprung. Manchmal beobachtet er Menschen. Wartet ab. Mal sehen, was passiert. Er muss immer schnell reagieren.
    Ein Pulk Jungs hängt im Schatten der Markise am Kiosk herum. Sie schlürfen Cola, und an ihrer Kleidung sieht man, dass sie Geld haben. John hat Durst und kein Geld. Er schaut auf seine zerschlissenen Turnschuhe und hofft, dass sie noch eine Weile durchhalten. Er möchte dazugehören. So einer sein wie die da! Die haben nämlich meistens alles. Handys, Klamotten, beim kleinsten Hunger etwas zu essen. Und sie haben ein Dach über dem Kopf und vor allem eine Familie.
    John muss hellwach sein, keine Verträumtheit, kein Trödeln, kein Chillen oder Herumhängen. Ein Fehltritt und schon steckt er in großen Schwierigkeiten. Aber John ist flink und hat einen Riecher für Gefahren, auch wenn sie sich still und heimlich nähern. Seit einiger Zeit kommen sie allerdings in Gestalt von Harpo und seiner Bande. Und das ist gefährlich, sehr gefährlich.
    Harpo – John muss seufzen, wenn er an ihn und seine Jungs denkt. Sie haben es auf ihn abgesehen und natürlich geht es dabei wie immer um Geld. Auch wenn er meistens nichts hat. Nur manchmal, wenn er arbeiten geht, dann hat er ein paar Euros in der Tasche. Und genau darauf sind sie scharf.
    Hier auf dem Ku’damm fühlt John sich allerdings fast sicher. Das ist nicht Harpos Revier. Der »herrscht« am Warschauer Bahnhof. Trotzdem. Er muss vorsichtig sein und immer auf der Hut. Auch jetzt. Er sieht sich um. Ist die Luft noch rein?
    Die Sache mit Harpo ist kompliziert und im Moment hat John keine Lust, darüber nachzudenken. Er läuft weiter und versucht, den Gedanken zu verscheuchen wie ein lästiges Insekt. Doch er
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