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Wir schaffen es gemeinsam

Wir schaffen es gemeinsam

Titel: Wir schaffen es gemeinsam
Autoren: Berte Bratt
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der Hunger sich einstellte.
    Ich hatte meinen Kinderparkplatz seit vierzehn Tagen in Betrieb, und es ging gut. Ich hatte schon fabelhafte Übung darin, Kinderwagen die Treppe hinaufzubefördern. Das mit der Treppe war ein Nachteil, aber es war wiederum ein Glück, daß das Haus nur zwei Stockwerke hatte, so daß es also bis zum Atelier hinauf nicht allzu weit war.
    Wenn ich auf hundertneunzig Fragen geantwortet, den Kindern ihre Milch und Keks gegeben, Zeichnungen und seltsame Modellierarbeiten bewundert hatte, dann kam es zuweilen vor, daß ich mich einen Augenblick hinsetzen und an dem Anblick der kleinen Gäste freuen konnte. Sie waren auch des Ansehens wert.
    Die meisten Kinder waren sehr gepflegt und durchaus sanftmütig. Kam es zwischendurch doch einmal vor, daß mir ein weinerliches Kind gebracht wurde, dann entdeckte ich den Nutzen der „gegenseitigen Erziehung“. Es dauerte nie lange, dann nahm das Weinerliche an dem Tun und Lassen der anderen lebhaften Anteil, und bald saß es ebenfalls mit einem Klumpen Plastilin in den Händen da und strengte sich gewaltig an, um ihn in ein Miezekätzchen oder ein Pferd zu verwandeln.
    Im übrigen hatte ich sehr schnell herausgefunden, daß allen, die mit Kindern zu tun haben, Schweigepflicht auferlegt werden sollte. Denn was plauderten die unschuldigen Mäulchen nicht alles aus! Es dauerte nicht lange, und ich hatte ein ziemlich deutliches Bild von den verschiedenen Familien. Ich wußte, daß Bippis Papa mitten in der Nacht nach Haus gekommen war, und dann war Mama so böse geworden, daß Bippi aufgewacht war. Ich wußte, daß Vivis Vater böse auf Mama wurde, wenn sie beim Morgenkaffee um Geld bat, und daß Hans Peters Tante gekommen war, um Papa zu versorgen, während Mama verreist war. Ach ja, es waren die absonderlichsten Dinge, die ich aus den vielen harmlosen Aussprüchen heraushören konnte. Ich schickte ein ganz großes Dankgebet zum lieben Gott hinauf, wenn ich an meine eigenen Eltern dachte. Wenig Geld hatten wir, das stimmte! Aber glücklich waren meine Eltern miteinander! Als es uns etwas besser ging und mein Vater das kleine Segelboot kaufen konnte, das er sich so sehr gewünscht hatte, und meine Mutter sich eine Putzfrau leisten konnte – und wir in eine Vierzimmerwohnung in einer etwas besseren Gegend zogen – oh, wie gut hatten wir es immer! Und ebenso bei Tante Beate und Onkel Mathias. Mir wurde klar, wie viel es für ein Kind zu bedeuten hat, wenn es in harmonischer Umgebung aufwachsen darf. Wie trostlos muß es für ein kleines Ding von sechs, sieben Jahren sein, Zeuge unerquicklicher Auftritte zu Hause zu sein! Wie bitter, seine Illusionen zu verlieren, ehe man sich bewußt geworden ist, daß man welche hat.
    Yvonne war jetzt vormittags oft zu Hause. Sie benutzte die Kinder als Modell. Schon mehrere Entwürfe waren entstanden, die mit der Zeit ausgeführt werden sollten.
    An unserer Tür hing ein köstliches Schild, das Yvonne gezeichnet hatte. „Wibke Grundt, Kinderparkplatz“ stand in großen, deutlichen Buchstaben darauf und rundherum kleine, drollige Zeichnungen von spielenden Kindern und Kinderwagen.
    Yvonne war heiter und zufrieden. Sie verdiente so gut an ihren Reklamezeichnungen, daß sie davon leben konnte. Die Stunden in der Schule hatte sie aufgegeben, sie nahmen ihr zu viel von ihrer jetzt kostbaren Zeit. Sie glühte vor Freude, als sie mir eines Tages erzählte, der „Blühende Kaktus“ sei verkauft. Und einige Tage, bevor die Ausstellung schloß, konnte auch der „Blassen Lenzsonne“ ein kleiner roter Zettel an den Rahmen geheftet werden.
    Yvonne hatte somit eine stattliche Summe verdient. Sicher hatte sie bestimmte Pläne damit, denn sie war schweigsam und nachdenklich. Ein, todsicheres Anzeichen, daß sie irgend etwas im Schilde führte. Es kam eines Abends, als ich über meinen endlosen Strümpfen saß und Yvonne vor ihren Reklamezeichnungen. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und seufzte mit einemmal auf. Die Arbeit wollte nicht recht vorangehen.
    Da legte sie den Stift aus der Hand und schaute zu mir herüber.
    „So geht das nicht, Wibke. Es juckt überall.“
    „Es juckt dich?“ wiederholte ich verständnislos.
    „Ja. Ich komme nicht mehr weiter. Ich muß fort.“ Ein Teil meines Lebens stürzte zu einem wilden Chaos zusammen. Yvonne wollte wegfahren! Was sollte dann aus mir werden?
    „Wann… und wohin?“
    „Nach Paris. So schnell wie möglich. Ich habe jetzt Geld. Und gerade jetzt würde ich unglaublich viel
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