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Wir neuen Großvaeter

Wir neuen Großvaeter

Titel: Wir neuen Großvaeter
Autoren: Rainer Holbe
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veranstaltet. Neben einer Einführung in philosophisches Denken und dessen Umsetzung in den schnöden Alltag standen auch praktische Übungen aus dem Berufsleben auf dem Programm. So war mir während unserer abendlichen Mahlzeiten in den kleinen bretonischen Restaurants aufgefallen, dass manche der jungen Entscheidungsträger das Wort »Manieren« offenbar aus ihrem Wortschatz verbannt hatten. Die meisten Teilnehmer drapierten ihre Windjacken einfach über der Stuhllehne, statt die Garderobe zu benutzen, klagten laut darüber, dass sie Fleisch eigentlich nicht mögen, und begannen sofort zu essen, als ihnen der Teller vor die Nase gestellt wurde. Ohne auf die Kollegen zu warten, mampften sie einfach los. Ihr Kommentar: Es wird ja sonst kalt!
    Abgesehen davon, dass auch in kleinen französischen Bistros auf dem Lande die einzelnen Gänge gleichzeitig serviert werden, sind die Teller der Vor – und Hauptspeisen meist vorgewärmt.
So wird nicht alles »gleich kalt«. Als während der Mahlzeiten oft genug das Handy klingelte und die Seminarteilnehmer lautstark telefonierten, hielt ich am anderen Tag die Zeit für gekommen, das Thema »Manieren« auf die Tagesordnung zu setzen.
    Bei den Seminaristen handelte es sich um gestandene Männer im Alter zwischen 30 und 40, die es in ihrem Beruf bereits weit gebracht hatten. Ich fürchtete daher, mit meinen Einlassungen schulmeisterlich zu wirken. Doch weit gefehlt: Sie baten mich geradezu darum, meine Erfahrung in Sachen »gutes Benehmen« weiterzugeben. In ihrer Kindheit sei dies weder in der Familie noch in der Schule ein Thema gewesen. Jeder von ihnen hatte bereits erlebt, dass er während eines mehrstufigen Bewerbungsverfahrens – dem sogenannten Assessment – zu einem mehrgängigen Essen in ein kultiviertes Restaurant gebeten wurde. Ihre künftigen Arbeitgeber achteten dabei sehr wohl darauf, ob sie sich zum Beispiel mit dem gereichten Brot eine Stulle schmierten oder das Brot korrekt in kleinen Stücken zum Mund führten. Auch das Tischgespräch wurde bewertet, das Konsumieren der gereichten Weine und der Gebrauch der Serviette.
    Das mögen Kleinlichkeiten sein, doch ein Arbeitsessen ist nun mal eine wichtige Bühne für die strategischen Allianzen in den meist konservativ geführten Unternehmen. Ich weiß von einem Vorstandsvorsitzenden, der den Bewerber um eine Geschäftsführerposition nach einem gemeinsamen Abendessen mit dessen Ehefrau »gekippt« hat – trotz bester Referenzen und Diplome aus Harvard und Oxford. Vielleicht hat er sich ja wirklich nur eine Butterstulle geschmiert oder das Rotweinglas zu voll gemacht. Der Mann – so der Vorstandsvorsitzende – hatte einfach keine Manieren.

    Manieren, das Wort steht gleichsam für Anstand, Höflichkeit, Rücksichtnahme, Diskretion, Sittsamkeit, Anteilnahme und Toleranz. Da sie kein Mensch und keine Gesellschaft entbehren kann, lohnt es sich, intelligent damit umzugehen.
    Ich werde zornig, wenn junge Mütter ihre Kinder nicht davor bewahren, sich in kleine Rabauken zu verwandeln. So sorgte ein Hinweis im Fenster des Frankfurter Cafés Sahnesteif für beträchtliche Aufregung. »Unser Café ist für Erwachsene, die sich aus der Hektik des Alltags zurückziehen wollen«, schrieben die Betreiber. »Es ist auch ein Hort für kleine Gäste, die ihre Eltern begleiten. Leider wird unser Café allzu oft mit einem Kinderhort oder dem heimischen Wohnzimmer verwechselt. . . Bitte respektieren Sie die Privatsphäre anderer.« Es sei schon mal vorgekommen, sagen die Inhaberinnen, dass Kleinkinder das Mobiliar zu Burgen umbauten, Eis an die Fenster schmierten und lärmend durch das Lokal zogen, ohne von ihren Müttern ermahnt zu werden.
    Â»Ein Kaffeehaustisch ist keine Wickelkommode«, schrieb daraufhin die Frankfurter Rundschau . »Jeder halbwegs feinfühlige Mensch flieht die nachmittägliche Mütter-Armada, die macchiatoselig über ihre Blagen schnattert.« Die Sahnesteif- Aktion eskalierte vom Stadtgespräch zum Beschimpfungsmarathon. Zum klaren Feindbild wurden die Mütter ausgemacht, die in aufgemotzten Familienkutschen die Bürgersteige blockieren und in den Cafés mit ihren Einkaufstüten »zuerst ihr Revier abstecken und dann den Rest der Welt an der Selbstverwirklichung ihrer Sprösslinge teilnehmen lassen«.
    Möglich, dass diese gut situierte, doch
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