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Wir neuen Großvaeter

Wir neuen Großvaeter

Titel: Wir neuen Großvaeter
Autoren: Rainer Holbe
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freilaufende Hühner zum Thema »Vom Ei zum Huhn« gackern. Die Schüler lernen dabei in kleinen Gruppen partnerschaftliches Verhalten und üben sich im produktiven Miteinander. »Die Bereitschaft, die Dinge mit anderen Augen zu sehen, und die Fähigkeit, Konflikte friedlich zu regulieren, sind Schlüsselqualifikationen, die in Schule und Unterricht ebenso vermittelt werden müssen wie Lesen, Schreiben und Rechnen«, heißt es im Thesenpapier der Schule.
    Doch wie sieht der Schulalltag in der Regel aus bzw. wie startet er? Wider jede schlafmedizinische Erkenntnis zwingen Kultusminister die Kinder zu einem Schulbeginn zwischen 7.45 Uhr und 8.15 Uhr. Vor allem für die Älteren ist dies eine Tortur, müssen sie doch vielerorts wegen langer Anfahrtswege schon sehr früh aus den Federn. In der Folge berichten Lehrer von übermüdeten, unkonzentrierten Schülern. Der Heidelberger Biologe Christoph Randler beobachtet, dass die Mehrzahl der jungen Leute vor 9 Uhr einfach noch nicht wach ist. »Wer morgens um halb acht in eine zehnte Klasse oder einen Hörsaal schaut, dem tut sich ein schreckliches Bild auf.«

    Warum also diese unnötige Quälerei? In den meisten europäischen Ländern wird der tägliche Schulbeginn längst moderater gehandhabt.
    Als aktiver Großvater habe ich im Sinne meiner Enkel ein unsinniges Sprichwort verändert: Morgenstund hat nämlich keineswegs Gold im Mund, sondern eher Blei an den Füßen.
    Das eigenständige, gemeinsame Entdecken, Erkunden und Erproben der Welt innerhalb ihrer nächsten Umgebung, bei dem Kinder mehr lernen, intensiver trainieren und für ihre Persönlichkeitsentwicklung mehr profitieren als in den meisten Unterrichtsstunden, hat heute Seltenheitswert. Erwachsene gehen offenkundig davon aus, dass »Lernen« nur dann richtig ist, wenn es von Erwachsenen vermittelt wird. Sie haben Angst, ihre Kinder könnten in falsche Gesellschaft geraten, es könnte ihnen etwas passieren oder sie könnten selbst etwas Schlimmes anstellen. Also werden Kinder rund um die Uhr beaufsichtigt: in Klassenräumen, Turnhallen, Kinderzimmern, Trainingsplätzen oder Horten.
    Wenn ich meinen Enkel Ferdinand bisweilen auf den Spielplatz begleite und es mir auf einer Bank in der Sonne bequem gemacht habe, werde ich oft Zeuge folgender Interaktion zwischen Eltern und Kindern:
    Â»Komm auf die Rutsche, Jonathan!«
    Â»Du wolltest doch auf die Schaukel, Frieda!«
    Â»Guck mal, Karl. Da fährt ein Feuerwehrauto!«
    Die Eltern lassen ihre Kinder nicht in Ruhe. Sie kontrollieren ihr Spiel, lösen ihre Konflikte (»Das Eimerchen gehört aber Emma!«) und mischen sich ständig ein. Pädagogen sprechen von »Helikopter-Eltern«, die über allem kreisen. Richtig
schlimm wird es beim Kindergeburtstag. Alles wird getan, um die Kinder zu »bespaßen« – von der Schatzsuche bis zum Zoobesuch. Auf die Idee, dass Kinder eigene Ideen zum Spielen haben, kommen Papa und Mama meist nicht. Auf ihre nimmermüden Einmischungsversuche angesprochen, höre ich immer wieder: »Wir haben Angst, dass unserem Kind etwas zustoßen könnte.« Kind sein gilt augenscheinlich heute als gefährlich, auch das unbeaufsichtigte Spielen mit den Kameraden.
    Â 
    In diesem Zusammenhang sei angemerkt: Immer häufiger fragen mich meine Enkel, was ich als Kind denn so in der Großstadt erlebt habe. Darauf will ich in diesem Buch noch näher eingehen, doch so viel vorab: Frankfurt war damals vom Krieg zerstört. Ich hauste nach sechs Wochen Aufenthalt in einem Bunker zusammen mit meinen Eltern, Onkel Adolf sowie Tante Rosa und Tante Anna in einer Vierzimmerwohnung in der Mörfelder Landstraße. Im Hinterhof etablierten wir unsere eigene kleine Welt. Auch wenn die Erinnerung bekanntlich verklärt, es war eine tolle Zeit. Unsere Eltern waren arm, aber der Reichtum ihrer Kinder bestand aus ihrer absoluten Freiheit und den schier grenzenlosen Sommerferien.
    Zu meiner Kinderzeit hat es Mütter und Väter generell kaum interessiert, wenn ihre Sprösslinge zum Spielen verschwanden.
    Â»Wir weisen unseren Kindern ihre eigenen Räume zu«, kritisiert der Spiel – und Bewegungsforscher Knut Dietrich in der Frankfurter Rundschau 46/2010. Kinderzimmer und Spielplätze sind wie die Reservate für eine bedrohte Art. Dabei wollen Kinder aus eigenem Antrieb die Welt entdecken.
    Â»Das ist kein
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