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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern
Autoren: Ziegler Jean
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Tuberkulose und Anämie. In den Kirchen von Amsterdam, Rotterdam, Den Haag stapelten sich im Winter 1944/45 die Särge der Hungertoten. 4 In Polen und Norwegen aßen die Menschen Ratten und Baumrinde, 5 um zu überleben. Viele starben.
    Wie die biblische Heuschreckenplage sind die Nazi-Plünderer über die besetzten Länder hergefallen und haben Lebensmittelvorräte, Ernten, Vieh beschlagnahmt.
    Für die KZ-Häftlinge hatte Adolf Hitler, noch bevor er mit der systematischen Vernichtung der Juden und Zigeuner begann, einen Hungerplan entwickelt, der den Zweck hatte, durch vorsätzlichen und andauernden Nahrungsentzug eine möglichst große Zahl von Häftlingen zu vernichten.
    Doch die kollektive Leidenserfahrung der hungernden europäischen Völker hatte in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch positive Folgen. Plötzlich erlebten bedeutende Forscher – geduldige Propheten, auf die zuvor niemand oder fast niemand gehört hatte –, dass ihre Bücher zu Hunderttausenden verkauft und in viele Sprachen übersetzt wurden.
    Einer der bekanntesten Vertreter dieser Bewegung ist Josué Apolônio de Castro, ein Arzt europäisch-indianischer Herkunft aus dem verarmten Nordosten Brasiliens, dessen Buch Geopolitik des Hungers aus dem Jahr 1951 (deutsch 1973) in der ganzen Welt gelesen wurde. Später haben auch andere – Angehörige einer jüngeren Generation und verschiedener Nationen – das Kollektivbewusstsein des Westens nachhaltig beeinflusst: Tibor Mende, René Dumont, Abbé Pierre und andere.
    Die im Juni 1945 geschaffene Organisation der Vereinten Nationen (UNO) gründete schon bald die Food and Agricultural Organization (FAO, Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) und, etwas später, das World Food Programme (WFP, Welternährungsprogramm).
    1946 begann die UNO ihren ersten weltweiten Feldzug gegen den Hunger.
    Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Pariser Palais de Chaillot die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die in Artikel 25 das Recht auf Nahrung feststellt.
    Im zweiten Teil des vorliegenden Buchs geht es um die Bedeutung dieses bemerkenswerten Augenblicks – das Erwachen des westlichen Gewissens.
    Doch leider war es nur ein sehr kurzer Augenblick. Innerhalb des Systems der Vereinten Nationen, aber auch innerhalb zahlreicher Mitgliedstaaten gab es (und gibt es) mächtige Feinde des Rechts auf Nahrung.
    Der dritte Teil des Buchs entlarvt sie.
    Ohne ausreichende Mittel für den Kampf gegen den Hunger fristen FAO und WFP unter schwierigsten Bedingungen ihr Dasein. Während es dem WPF heute mehr schlecht als recht gelingt, einen Teil der Nahrungshilfe zu leisten, deren die notleidenden Bevölkerungen dringend bedürfen, ist die FAO beinahe am Ende. Der vierte Teil des Buchs legt die Gründe für diesen Niedergang dar.
    Seit kurzem werden die hungernden Völker der südlichen Hemisphäre von neuen Geißeln heimgesucht: Landraub durch Biotreibstoff-Trusts und Börsenspekulationen auf Grundnahrungsmittel.
    Die erdumspannende Macht der transkontinentalen Agrokonzerne und der Hedgefonds – der Fonds, die auf Nahrungsmittelpreise spekulieren – übersteigt die der Nationalstaaten und aller zwischenstaatlichen Organisationen. In den Führungsetagen dieser Unternehmen wird über Leben und Tod der Bewohner unseres Planeten entschieden.
    Der fünfte und sechste Teil des Buchs widmet sich der Frage, warum und wie es kommt, dass sich heute die Profitwut, die Geldgier, die grenzenlose Habsucht der räuberischen Oligarchien des globalisierten Finanzkapitals in der öffentlichen Meinung und den Bewertungen der Regierungen gegen alle anderen Erwägungen durchsetzen und damit die weltweite Mobilisierung des Widerstands behindern.
    Ich war der erste UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Mit Hilfe meiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, junger Männer und Frauen von außergewöhnlicher Kompetenz und Hingabe, habe ich dieses Mandat acht Jahre lang wahrgenommen. Ohne diese jungen Akademiker wäre das nicht möglich gewesen. 6 Das vorliegende Buch lebt von diesen acht Jahren gemeinsamer Erfahrungen und Kämpfe.
    Häufig beziehe ich mich auf Dienstreisen in die Hungergebiete der Welt – Indien, Niger, Bangladesch, Mongolei, Guatemala und so fort. Unsere Berichte von damals zeigen mit aller Deutlichkeit, welche Verheerungen der Hunger unter den Bevölkerungen dieser besonders betroffenen Gebiete anrichtet. Sie enthüllen auch, wer für
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