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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern
Autoren: Ziegler Jean
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Die Kinder von Saga
    Ich erinnere mich an einen klaren Tagesanbruch während der Trockenzeit in dem kleinen Dorf Saga, etwa 100 Kilometer südlich von Niamey, im Niger. Die ganze Region ist notleidend. Dabei wirken mehrere Faktoren zusammen: eine Hitze, wie es sie seit Menschengedenken nicht gegeben hat, bis zu 47,5 Grad im Schatten, eine seit zwei Jahren herrschende Dürre, eine schlechte Hirseernte, zur Neige gehende Futtervorräte für das Vieh, eine Überbrückungszeit 1 von mehr als vier Monaten und sogar eine Heuschreckenplage. Die Mauern der Hütten aus Banco 2 , die Strohdächer, die Böden sind glühend heiß. Die Kinder werden von der Malaria, von Fieberanfällen und Schüttelfrost gepeinigt. Menschen und Tiere leiden unter Hunger und Durst.
    Ich warte vor dem Ambulatorium der Schwestern der Mutter Teresa. Den Termin hat der Vertreter des UN-Welternährungsprogramms (WFP) in Niamey verabredet.
    Drei weiße Gebäude mit Wellblechdächern. Ein Hof mit einem riesigen Affenbrotbaum in der Mitte. Eine Kapelle, Lagerschuppen und rund herum eine Betonmauer mit einem Eisentor.
    Ich warte vor dem Tor, inmitten der Menge, von Müttern umgeben.
    Der Himmel ist rot. Die große, purpurfarbene Sonnenscheibe schiebt sich langsam über den Horizont.
    Vor dem grauen Eisentor drängen sich die Frauen, Angst ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Einige mit hektischen Bewegungen, andere dagegen mit leeren Augen und unendlicher Mutlosigkeit. Alle halten sie ein Kind im Arm, manchmal zwei, mit Lumpen bedeckt. Diese Stoffbündel heben sich im Rhythmus des Atmens. Viele Frauen sind die ganze Nacht gegangen, manche sogar mehrere Tage. Sie kommen aus Dörfern, über die die Heuschrecken hergefallen sind, 30 bis 50 Kilometer entfernt. Offensichtlich sind sie erschöpft. Vor dem hartnäckig verschlossenen Tor können sie sich kaum aufrecht halten. Die kleinen, zum Skelett abgemagerten Geschöpfe, die sie in ihren Armen halten, scheinen ihnen eine unverhältnismäßige Last zu sein. Fliegen umschwirren die Lumpen. Trotz der frühen Stunde ist die Hitze drückend. Ein Hund läuft vorbei und wirbelt eine Staubwolke auf. Schweißgeruch hängt in der Luft.
    Dutzende Frauen haben eine oder mehrere Nächte in Löchern verbracht, die sie mit bloßen Händen in den harten Savannenboden gegraben haben. Am Vortag oder am Tag davor zurückgewiesen, versuchen sie an diesem Morgen ihr Glück mit unendlicher Geduld von neuem.
    Endlich höre ich Schritte im Hof. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss.
    Eine Schwester europäischer Herkunft mit schönen, ernsten Augen erscheint und öffnet das Tor einen Spalt weit. Die Menschentraube gerät in Bewegung, vibriert, drängt nach vorn, klebt am Tor.
    Die Schwester nimmt einen Stofffetzen hoch, dann noch einen und noch einen. Mit einem raschen Blick versucht sie, die Kinder herauszufinden, die noch eine Überlebenschance haben.
    Leise, in perfektem Hausa, spricht sie zu den verängstigten Müttern. Schließlich werden etwa fünfzehn Kinder und ihre Mütter hereingelassen. Die deutsche Ordensschwester hat Tränen in den Augen. Die etwa hundert Frauen, die an diesem Tag abgewiesen werden, bleiben stumm, würdevoll, aber völlig verzweifelt zurück.
    In der Stille bildet sich eine Kolonne. Diese Mütter geben den Kampf auf. Sie gehen wieder in die Savanne. Sie kehren in ihr Dorf zurück, in dem es noch immer keine Nahrung gibt.
    Eine kleine Gruppe beschließt, sich nicht von der Stelle zu rühren, in diesen mit ein paar Zweigen oder einem Stück Plastik gegen die Sonne geschützten Löchern auszuharren.
    Die nächste Morgendämmerung wird kommen. Ein neuer Tag wird beginnen. Das Tor wird sich wieder einen Spalt und einen Augenblick lang öffnen. Und sie werden abermals ihr Glück versuchen.
    Bei den Schwestern der Mutter Teresa in Saga braucht ein Kind, das unter schwerer Unter- und Mangelernährung leidet, höchstens zwölf Tage für seine Genesung. Auf einer Matte liegend, wird es in regelmäßigen Abständen intravenös mit einer Nährlösung versorgt. Unermüdlich verjagt seine fürsorgliche Mutter, im Schneidersitz an seiner Seite, die großen glänzenden Fliegen, die in den Baracken umherschwirren.
    Die Schwestern sind freundlich, sanft und rücksichtsvoll. Sie tragen einen Sari und das weiße, mit drei blauen Streifen geschmückte Kopftuch, das durch Mutter Teresa, die in Kalkutta wirkende Gründerin des Ordens der Missionarinnen der Nächstenliebe, bekannt wurde.
    Das Alter der Kinder liegt zwischen sechs
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