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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern
Autoren: Ziegler Jean
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die Wirklichkeit zu verändern, die Freiheit im Menschen zu befreien, müssen wir wieder an dieses »antizipierende Bewusstsein« anknüpfen, 10 diese historische Kraft, die Utopie heißt, Revolution.
    Das eschatologische Bewusstsein macht Fortschritte. Vor allem in den weltbeherrschenden Gesellschaften des Westens werden immer mehr Frauen und Männer zu Aufständischen, die gegen die neoliberale Doxa von der Unausweichlichkeit des Massensterbens kämpfen. Dabei zeigt sich eines immer deutlicher: Der Hunger ist das Werk von Menschen und kann von Menschen besiegt werden.
    Bleibt die Frage: Wie erschlagen wir das Ungeheuer?
    Vorsätzlich totgeschwiegen von der öffentlichen Meinung des Westens, erwachen in der ländlichen Bevölkerung der südlichen Hemisphäre vor aller Augen revolutionäre Kräfte. Transnationale Bauerngewerkschaften, Zusammenschlüsse von Landwirten und Viehzüchtern, kämpfen gegen die Geier des »grünen Goldes« und die Spekulanten, die ihnen ihr Land stehlen wollen. Zugleich verweigern immer mehr Menschen im Herzen der Herrschaftsgesellschaften den neoliberalen Wahnideen ihre Gefolgschaft und stellen sich der kannibalischen Weltordnung entgegen.
    Im Epilog komme ich zurück auf diese Kämpfe und die Hoffnung, die sie nähren. Und auf unsere Pflicht, sie zu unterstützen.
    1 Als Überbrückungszeit bezeichnet man die Periode, die zwischen dem Aufbrauchen der letzten Ernte und der neuen Ernte liegt – ein Zeitraum, in dem die Bauern Lebensmittel auf dem Markt kaufen müssen.
    2 Ziegelsteine aus einer Mischung von Lehm, sandigem Laterit und Kuhfladen.
    3 Timothy Snyder, Bloodland, New York , Basic Books, 2010.
    4 Max Nord, Amsterdam timjens den Hongerwinter , Amsterdam, 1947.
    5 Else Margrete Roed, »The food situation in Norway«, Journal of American Dietetic Association , New York, Dezember 1943.
    6 Unter anderen Sally-Anne Way, Claire Mahon, Ioana Cismas und Christophe Golay. Unsere Website: www.rightfood.org . Vgl. auch Jean Ziegler, Christophe Golay, Claire Mahon, Sally-Anne Way, The Fight for the Right to Food. Lessons Learned , London, Éditions Polgrave, Mac Millan, 2011.
    7 Blaise Lempen, Laboratoire du XXIe siècle , Genf, Éditions Georg, 2010.
    8 König Lear, 4. Aufzug, 6. Szene.
    9 Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie , Frankfurt am Main, S. Fischer 1992, S. 145.
    10 Diesem widmet sich Ernst Bloch im zweiten Teil seines Buches Das Prinzip Hoffnung .

ERSTER TEIL
    Das Massaker

1
    Geographie des Hungers
    Das Recht auf Nahrung, wie es sich aus Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 11 ergibt, ist folgendermaßen definiert:
    »Das Recht auf Nahrung ist das Recht, unmittelbar oder durch finanzielle Mittel einen regelmäßigen, dauerhaften und freien Zugang zu einer qualitativ und quantitativ ausreichenden Nahrung zu haben, die den kulturellen Traditionen des Volkes entspricht, dem der Verbraucher angehört, und die ein physisches und psychisches, individuelles und kollektives, befriedigendes und menschenwürdiges Leben ermöglicht, das frei ist von Angst.«
    Von allen Menschenrechten ist das Recht auf Nahrung dasjenige, welches auf unserem Planeten sicherlich am häufigsten, am zynischsten und am brutalsten verletzt wird.
    Der Hunger ist ein organisiertes Verbrechen.
    In der Bibel steht zu lesen: »Der Arme hat nichts denn ein wenig Brot; wer ihn darum bringt, der ist ein Mörder. Wer einem seine Nahrung nimmt, der tötet seinen Nächsten. Wer dem Arbeiter seinen Lohn nicht gibt, der ist ein Bluthund.« 12
    Nach Schätzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO / Food and Agriculture Organization) belief sich die Zahl der permanent schwerst unterernährten Menschen 2010 auf 925 Millionen, gegenüber 1023 Millionen im Jahr 2009. Fast eine Milliarde der 7 Milliarden Menschen, die den Planeten bevölkern, leidet also dauerhaft Hunger.
    Der Hunger ist ein recht einfaches Phänomen.
    Nahrung (oder Lebensmittel), egal, ob pflanzlichen oder tierischen (manchmal auch mineralischen) Ursprungs, wird von Lebewesen zu energetischen oder nutritionellen Zwecken verzehrt. Flüssige Elemente (darunter auch Wasser mineralischen Ursprungs), mit anderen Worten, Getränke (im Fall von Suppen, Soßen etc. zur Nahrung gezählt), werden aus dem gleichen Grund aufgenommen. Aus einer Vielzahl dieser Elemente besteht das, was wir Nahrung nennen.
    Nahrung liefert die Lebensenergie des Menschen. Die Einheit, in
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