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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern
Autoren: Ziegler Jean
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unterernährte Frauen Millionen Kinder zur Welt, die von Geburt an verurteilt sind. Der Mangel hat diese kleinen Geschöpfe vom ersten Tag ihres Lebens an fest im Griff. Schon während der Schwangerschaft überträgt die Mutter diesen Fluch auf ihr Kind. Die pränatale Unterernährung verursacht dauerhafte Invalidität, Hirnschädigungen, motorische Behinderungen.
    Eine hungernde Mutter kann ihren Säugling nicht stillen. Sie verfügt auch nicht über die Mittel, um Milchersatzstoffe zu erwerben.
    In den Ländern des Südens sterben jährlich über 500000 Mütter bei der Geburt, die meisten wegen längeren Nahrungsentzugs während der Schwangerschaft.
    Der Hunger ist mit Abstand der Hauptgrund für Tod und Verlust auf unserem Planeten. Jährlich verliert die Menschheit im Durchschnitt ein Prozent ihrer Substanz. Im Jahr sterben also rund 70 Millionen Menschen, davon 18 Millionen durch Hunger und Unterernährung.
    Auf welche Weise ermittelt die FAO diese Hungerdaten?
    Den Analytikern, Statistikern und Mathematikern der Organisation wird generell eine hohe Kompetenz bescheinigt. Das Modell, das sie bereits 1971 entwickelten und seither Jahr für Jahr verfeinern, ist außerordentlich kompliziert. 15
    Auf einem Planeten, der von 7 Milliarden Menschen bewohnt wird und in 194 Staaten unterteilt ist, lassen sich keine Einzelerhebungen durchführen. Daher bedienen sich Statistiker einer indirekten Methode, die ich hier absichtlich vereinfache.
    Erster Schritt: Für jedes Land erfassen sie die Nahrungsproduktion sowie den Import und Export von Lebensmitteln, wobei sie in jedem Fall den Kaloriengehalt festhalten. Beispielsweise zeigt sich, dass Indien zwar fast die Hälfte aller schwer und permanent unterernährten Menschen der Welt aufweist, in manchen Jahren aber trotzdem Hunderttausende Tonnen Getreide exportiert. So belief sich die Gesamtmenge dieser Exporte von Juni 2002 bis November 2003 auf 17 Millionen Tonnen.
    Auf diese Weise erhält die FAO (die UN-Organisation für Ernährung, Landwirtschaft, Fischerei und Forstwesen) die in jedem Land zur Verfügung stehende Kalorienmenge.
    Zweiter Schritt: Die Statistiker ermitteln für jedes Land die demographische und soziologische Struktur der Bevölkerung. Wie erwähnt, verändert sich der Kalorienbedarf mit der Altersklasse. Eine weitere Variable ist das Geschlecht: Aus einer ganzen Reihe von soziologischen Gründen verbrennen Frauen weniger Kalorien als Männer. Die Arbeit, die jemand verrichtet, seine sozioprofessionelle Situation, bildet eine weitere Variable: Ein Stahlgießer an einem Hochofen verbraucht mehr Kalorien als ein Rentner, der seinen Tag damit verbringt, geruhsam auf einer Bank zu sitzen.
    Diese Daten verändern sich wiederum mit der Region und Klimazone, die betrachtet wird. Lufttemperatur und meteorologische Verhältnisse im Allgemeinen beeinflussen den Kalorienbedarf.
    Nach Abschluss des zweiten Schritts können die Statistiker diese beiden Werte korrelieren. Denn sie kennen nun für jedes Land den Kalorienmangel insgesamt und sind infolgedessen in der Lage, die theoretische Zahl der schwer und dauerhaft unterernährten Menschen zu bestimmen.
    Allerdings geben diese Ergebnisse keine Auskunft über die Kalorienverteilung innerhalb einer gegebenen Bevölkerung. Deshalb verfeinert man das Modell durch gezielte Erhebungen auf Stichprobenbasis. Es geht darum, besonders gefährdete Gruppen zu bestimmen.
    Bernard Maire und Francis Delpeuch kritisieren dieses mathematische Modell. 16
    Zunächst einmal stellen sie die Parameter in Frage. Ihr Einwand: Die Statistiker in Rom bestimmen die Defizite anhand der Kalorien, das heißt, der Makronährstoffe (Proteine, Kohlehydrate, Fette), die die Kalorien, also Energie, liefern. Dabei klammern sie jedoch die Defizite an Mikronährstoffen aus – den Mangel an Vitaminen, Mineralien, Spurenelementen. Fehlt es nun aber in der Nahrung an Jod, Eisen, Vitamin A und C (neben anderen, für die Gesundheit unentbehrlichen Elementen), müssen jedes Jahr Millionen Menschen erblinden, zu Krüppeln werden und sterben.
    Mit ihrer mathematischen Methode kann die FAO also erfassen, wie viele Menschen an Unterernährung leiden, nicht aber, wie viele der Mangelernährung zum Opfer fallen.
    Außerdem bezweifeln die beiden Wissenschaftler die Zuverlässigkeit dieser Methode, da sie ganz und gar auf der Qualität der von den betreffenden Staaten gelieferten Daten beruht.
    Nun verfügen aber nur wenige Staaten der südlichen Hemisphäre über
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