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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern
Autoren: Ziegler Jean
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hungernden Familien den Zutritt zum Lager, weil nicht genügend Mittel vorhanden sind. 19
    Wer ist vor allem vom Hunger betroffen?
    Die drei besonders gefährdeten Personengruppen sind – in der Terminologie der FAO – die arme Landbevölkerung ( rural poors ), die arme Stadtbevölkerung ( urban poors ) und die bereits erwähnten Katastrophenopfer. Betrachten wir die beiden ersten Kategorien.
    Die arme Landbevölkerung: Die Mehrheit der Menschen, die nicht genug zu essen haben, gehört den Gemeinschaften der armen Landbevölkerung in den Ländern des Südens an. Viele verfügen weder über Trinkwasser noch Elektrizität. Auch Gesundheitsdienste, Bildungsinstitutionen und Sanitäreinrichtungen sind in den allermeisten Fällen nicht vorhanden.
    Von den 7 Milliarden Menschen, die den Planeten bewohnen, lebt etwas weniger als die Hälfte in ländlichen Gebieten.
    Seit unvordenklichen Zeiten ist die ländliche Bevölkerung – Ackerbauern und Viehzüchter (sowie Fischer) – besonders anfällig für Not und Hunger: Von den 1,2 Milliarden Menschen, die heute nach den Kriterien der Weltbank von »extremer Armut« betroffen sind, leben 75 Prozent auf dem Land.
    Zahlreiche Bauern befinden sich aus einem der folgenden Gründe in dieser Notlage: Die einen sind Wanderarbeiter ohne Land oder Teilpächter, die von den Grundbesitzern gnadenlos ausgebeutet werden. So müssen die muslimischen Teilpächter im Norden Bangladeschs an ihre landlords , in Kalkutta lebende hinduistische Grundeigentümer, vier Fünftel ihrer Ernten abführen. Andere besitzen zwar Land, können aber ihr Eigentumsrecht nicht hinreichend belegen. So ergeht es den brasilianischen Posseiros , die auf kleinen unwirtschaftlichen oder brachliegenden Landflächen leben, die sie nutzen, ohne Dokumente zu besitzen, die sie als Eigentümer ausweisen. Eine dritte Gruppe lebt auf eigenem Land, das aber so klein oder so schlecht ist, dass sie damit ihre Familien nicht hinreichend ernähren kann.
    Der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung ( International Fund for Agricultural Development/ IFAD ) beziffert die Zahl der landlosen Landarbeiter auf ungefähr 500 Millionen, was 100 Millionen Haushalten entspricht. Das sind die Ärmsten der Armen dieser Erde. 20
    Für Kleinbauern, ausgebeutete Teilpächter, landwirtschaftliche Tagelöhner, Wanderarbeiter empfiehlt die Weltbank neuerdings die »marktgestützte Landreform« ( Market-Assisted Land Reform ), die sie 1997 zum ersten Mal für die Philippinen vorgeschlagen hat. Der Großgrundbesitzer wäre gezwungen, sich von einem kleinen Teil seiner Ländereien zu trennen, doch der Landarbeiter müsste seine Parzelle mit Hilfe eines Weltbankkredits erwerben.
    Angesichts der vollkommenen Mittellosigkeit der »landlosen« Familien erweist sich die »marktgestützte Landreform«, die von der Weltbank überall propagiert wird, als Heuchelei der schlimmsten Sorte, wenn nicht gar schlicht und einfach als Zynismus. 21
    Die Befreiung der Bauern ist nur von den Bauern selbst zu leisten. Wer Gelegenheit hat, ein Assentamento oder Acampamento (Ansiedlung oder Lager) der Bewegung der Landarbeiter ohne Boden (MST 22 ) in Brasilien zu besuchen, wird tief beeindruckt und voller Bewunderung sein. Die MST ist zur bedeutendsten sozialen Bewegung Brasiliens geworden, die sich einsetzt für Agrarreform, Ernährungssouveränität, für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Freihandel und dem vorherrschenden agroindustriellen Produktions- und Verbrauchsmodell, für Nahrungsmittelanbau, Solidarität und Internationalismus.
    Die internationale Bauernbewegung Via Campesina umfasst weltweit 200 Millionen Teilpächter, Kleinbauern (1 Hektar oder weniger), landwirtschaftliche Saisonarbeiter, nomadische oder sesshafte Viehzüchter, Berufsfischer. Ihr Hauptsitz befindet sich in Djakarta, Indonesien. Via Campesina ist heute eine der beeindruckendsten revolutionären Bewegungen der Dritten Welt. Wir werden darauf zurückkommen.
    Nur wenige Männer und Frauen auf der Erde arbeiten so viel, unter so widrigen klimatischen Bedingungen und für so geringe Erträge wie die Bauern in der südlichen Hemisphäre. Ganz selten nur können einige von ihnen Ersparnisse anlegen, um gegen die stets drohenden Klimakatastrophen, Heuschrecken und sozialen Unruhen gewappnet zu sein. Selbst wenn einige Monate lang Nahrung im Überfluss vorhanden ist, sodass die Festtrommeln erklingen und prachtvolle Hochzeiten gefeiert werden, bei denen die Fülle brüderlich
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