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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
Autoren: Christoph Peters
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plustert sich auf , die andere hüpft weiter.
    Er flüstert: »Hört , ihr Vögel , was ich zu sagen habe , ich meine es gut mit euch , ihr könnt mir vertrauen. Weder werde ich euch verraten noch ausliefern , nicht eine Feder soll euch gekrümmt werden. Ich bin keiner von denen , die eure Nester samt Brut aus den Kirchtürmen werfen. Wir können Freunde werden. Ihr verratet mir etwas von den Geheimnissen der Luft , und ich zeige euch , wo es auch im Winter reichlich zu fressen gibt.«
    Die eigene Stimme allein im Morgendunst. Aus den gekippten Kellerfenstern der Schwimmhalle steigt Wasserdampf.
    Die Krähen verstehen nichts oder sind stur , springen auf und fliegen davon.

Zwei
    Schwester Eugenia muß als Heilige angesehen werden , auch wenn sie nicht wundertätig ist , höchstens im Verborgenen , darüber läßt sich nur mutmaßen.
    »Du hast sehr schlecht geübt letzte Woche« , sagt sie. »Die Tonleiter konntest du nicht , und weder beim Czerny noch mit der Clementi-Sonatine bist du vorangekommen. Wenn ich über den Flur gegangen bin , hast du entweder herumgeklimpert oder es war still im Übungsraum. Dienstag und Donnerstag bist du überhaupt nicht hier gewesen. Oder warst du krank?«
    Eine Heilige ist eine Frau , die ihr Leben ganz und gar Gott verschrieben hat. Die Liebe zum Herrn füllt sie vollständig aus. Der Preis , den sie dafür zahlen muß , kümmert sie nicht. Sie hat Seinen Ruf an ihr Herz gehört und ist ihm gefolgt.
    Carl schüttelt den Kopf. Er belügt Schwester Eugenia ungern.
    »Du bist jetzt so alt , daß ich nicht mehr schimpfe , aber ich kann auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.«
    Er schweigt.
    »Es ist sehr undankbar deinen Eltern gegenüber , daß du dir gar keine Mühe gibst. Deine Eltern müssen hart arbeiten , um den Unterricht zu bezahlen. Für sie wird es eine große Enttäuschung sein , wenn sie beim Konzert feststellen , daß du keine Fortschritte gemacht hast. Oder möchtest du nicht mehr Klavierspielen lernen?«
    »Doch.«
    »Ohne Üben geht es aber nicht.«
    Sie schaut trotz allem nicht ärgerlich.
    »Ich weiß.«
    Schwester Eugenias wasserblaue , rosa geränderte Augen mit den immer noch blonden Wimpern liegen tief im von bleicher , sehr fein gefalteter Haut überzogenen Gesicht. Eine winzige Person mit in die Länge gezogenem Kopf , das Haar bis auf eine einzelne Strähne von einem Schleier bedeckt , die Schultern eingesunken. Wenn sie keine Heilige wäre , würde man sie nicht ernst nehmen. Aus dem weiten Ärmel des schwarzen Habits ragt der knochige Unterarm , die Hand ist nach vorn gekippt. Manchmal unterstreicht der Zeigefinger das , was sie sagt. Ihre Gelenke sind knotig von Gicht oder Rheuma. Deshalb spielt sie nur selten vor , wie ein Stück klingen muß.
    »Warum strengst du dich denn nicht an , kannst du mir das verraten?«
    Carl schlägt die Augen nieder: weiße und schwarze Tasten , die weißen mit grauen Äderchen und Gelbstich aus echtem Elfenbein. Das Klavier ist alt , es stammt aus der Zeit , als man noch Großwildjäger werden konnte.
    Er zuckt mit den Achseln.
    »Wenn man fleißig übt , hat man doch viel mehr Freude an der Musik.«
    Eine Heilige sorgt sich nicht um sich selbst. Ihr eigenes Leid ist ihr gleichgültig , statt dessen erleichtert sie die Beschwernisse der anderen. Das Gute , das ihr widerfährt , nimmt sie als Geschenk des Herrn in Dankbarkeit an. Alles Übel ist ihr eine verdiente Strafe , die sie klaglos trägt , oder eine Prüfung , die sie bestehen wird. Tag für Tag muß sie sich in Anfechtungen bewähren , dem Satan und seiner List widersagen. Je öfter sie ihm die Stirn geboten hat , desto heimtückischer werden seine Versuche , sie zu Fall zu bringen. Mit jedem Sieg , den sie davonträgt , steigt der Wert ihrer Seele. Weil sie alle Zeit auf Gott vertraut , ist sie ohne Furcht. Beschimpfungen und Marter kümmern sie nicht. Selbst den Tod achtet sie gering. Für den Herrn ihr Leben herzuschenken , wäre die höchste Ehre: Gold , das im Feuer geläutert wird , bis alle Schlacken ausgeschmolzen sind.
    »Wissen Sie , Schwester , wir haben so viel für die Schule zu lernen im Augenblick. Vor allem in Latein … Herr Krantz ist sehr streng. «
    »Das muß er sicher auch sein.«
    Der Märtyrertod ist Schwester Eugenia nicht vergönnt gewesen , obwohl sie vierzig Jahre im brasilianischen Regenwald zugebracht hat , um den Heiden die frohe Botschaft zu verkünden. Vor acht Jahren , mit siebzig , mußte sie nach Deutschland zurückkehren ,
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