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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
Autoren: Christoph Peters
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weil das tropische Klima sie zusehends geschwächt hat. Eigentlich nehmen Heilige keine Rücksicht auf die Gebrechen des eigenen Leibes. Vielleicht war die Gesundheit nur ein vorgeschobener Grund , weil die Generaloberin Schwester Eugenia nicht sagen wollte , daß sie ihre Aufgaben seit längerem nicht mehr erfüllt hat. Im Urwald braucht man mehr als die äußerste Kraft , die einem erwachsenen Menschen zur Verfügung steht. Schwester Eugenia hat die Weisung der Generaloberin in Ergebenheit und Gehorsam angenommen , wie sie es in den Gelübden versprochen hat.
    Im Gregorianum wird sie keine Gelegenheit bekommen , Blutzeugin zu werden.
    Carl glaubt Wehmut herauszuhören , wenn sie von der Zeit im Urwald erzählt. Trotz aller Gefahren wäre sie lieber dort und würde Kartoffeln schälen , Kleider flicken , statt hier , wo es kalt ist und genauso oft regnet wie im Dschungel , lustlosen Jungen das Klavierspiel beizubringen.
    »Die Kinder in Brasilien waren dankbar , daß sie etwas lernen durften. Deshalb haben sie sich immer angestrengt. Für sie ist es nicht selbstverständlich gewesen , eine Schule zu besuchen. Manche sind tagelang erst mit dem Kanu und dann zu Fuß durch den Urwald gekommen , um bei uns zu sein.«
    »Haben sie auch besser Klavier geübt?«
    »Das hätten sie bestimmt , wenn ihnen eure Möglichkeiten geboten worden wären. Aber wir hatten keine fünfundzwanzig Übungsräume , sondern nur das kleine Harmonium in der Kirche , das im Gottesdienst und in der Musikstunde gespielt wurde. Für den Harmoniumunterricht gab es zwei Plätze , und die , die sie bekommen wollten , mußten besonders tüchtige und zuverlässige Mädchen sein.«
    Außer den Indios in ihren abgelegenen Dörfern gab es auch Goldsucher , Holzfäller , Nachkommen entlaufener Sklaven und Abenteurer. Sie ließen Frauen mit Mischlingskindern zurück , die niemanden hatten , der für sie sorgte. Schwester Eugenia erzählt von weißen Männern , deren schlechter Lebenswandel den Menschen in ihrer Umgebung schwere Lasten aufgebürdet hat , von Indios , die durch deren Geldgier angesteckt wurden. Ganz allgemein benehmen sich die Weißen schrecklicher als die Eingeborenen. Trunksucht ist weit verbreitet , viele sterben daran , direkt oder infolge der Gewalt , die im Rauschzustand schnell ausbricht. Alle tragen immer Waffen , weshalb die Zahl der Waisen hoch ist. Oft sind die Mütter selbst noch halbwüchsig. Die Schwestern des göttlichen Erbarmens geben vielen von ihnen Arbeit auf der Station. Voraussetzung ist , daß sie sich an Regeln und Gebote halten. Sonst geht es nicht lange gut in einer Gemeinschaft. Schwester Eugenia bringt den Kindern Lesen , Schreiben und Rechnen bei , den Mädchen auch Handarbeit. Sie sollen aus ihrem Leben etwas machen. Von Pater Ruppert lernen sie , wie man Feldfrüchte anbaut , Möbel schreinert , eine Steinmauer setzt. Natürlich geht es bei alldem hauptsächlich um die Errettung der Seelen vor Verdammnis und Hölle. Aber Schwester Eugenia spricht nie davon , wie sie das Evangelium verkündet hat. Die Predigt ist Sache des Paters. Es gehört sich nicht für eine Frau vor der Gemeinde zu reden , wie der Apostel Paulus sagt. Das gilt auch für eine Schwester , selbst wenn sie sich durch ihre Gelübde keinem Ehemann unterworfen hat , sondern Christus direkt untersteht , der das Haupt des Mannes ist , wie der Mann das Haupt der Frau ist . Eigentlich steht sie in ihrem Verhältnis zu Christus also fast auf der gleichen Stufe wie ein Mann. Sie darf trotzdem nicht predigen , so wie Mädchen in Henneward nicht Meßdiener werden dürfen.
    Schwester Eugenia studiert mit dem Chor Psalmen , Choral und mehrstimmige Sätze für den Gottesdienst ein. Diese Aufgabe ist ein großes Geschenk: »Wer einmal gehört hat , wie am Karfreitag mitten im Urwald unser Chor O Haupt voll Blut und Wunden singt« , sagt sie , »wird in seinem Leben nie wieder die Hoffnung verlieren.«
    Carl stellt sich die kleine schwarze Gestalt mit dem krummen Rücken vor , der kein Buckel ist , eher das Ergebnis allmählicher Verformung durch die Feuchtigkeit und das Kreuz , das eine Heilige zu tragen hat , um dem Herrn ähnlich zu werden , wie sie über den staubigen Platz eilt , ringsum gewaltige Tropenbäume , Mahagoni und Kautschuk , in deren Wipfeln bunte Frösche , riesige Käfer und Würgeschlangen leben. Dazu das immerwährende Geschrei der Affen und Papageien. Nachts brüllt der Jaguar. Schwester Eugenia marschiert vorwärts , mit unbeirrbarem Gang
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