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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
Autoren: Christoph Peters
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kaum mehr zum Aushalten ist und die Brust zu zerreißen droht vor lauter Erwartung des Glücks , das kommt. Es hat keine andere Wahl als zu kommen. Diesmal muß es sich zeigen , nachdem es so oft ausgeblieben ist , entgegen aller Vorboten und Versprechungen. Jedes Jahr kündigt der Frühling ein anderes Leben an , immer ist es nah und ganz und gar neu. Gedichte von Mädchen , die in Buchenhainen tanzen , Blicke verschenken , deren Sanftmut einem ein Heim werden könnte. Auf ihren Lippen , zwischen den Schenkeln das Wunder und dunkle Geheimnisse. Die Hoffnung hält sich bis zum Ende des Sommers , dann erkrankt sie. Es beginnt mit Schwächeschüben , wenn Dauerregen über dem Land hängt. Wer jetzt allein ist , wird es lange bleiben. An Weihnachten ist keine Hoffnung mehr übrig. Deshalb ist es ein schreckliches Fest. Schon längst trösten die Geschenke über nichts mehr hinweg.
    Der Specht hämmert eine weitere Salve aufs Holz. Hinten im Dickicht , zwischen Geäst , Büschen , erscheint etwas wie die Gestalt einer Frau: entblößte Schultern , langes Haar. Schrecken , als wäre ein Tier aufgesprungen. Wenn dort tatsächlich eine Frau ist , kaum bekleidet , wozu würde sie einen hinreißen , der allein hier herumspaziert in aller Herrgottsfrühe? Unausdenkliches könnte geschehen. Doch es ist ein Trugbild. Schon löst es sich auf , kippt zurück in den undurchdringlichen Grund , der es freigegeben hat. Man kann nicht ausschließen , daß sich fremdartige Wesen dort aufhalten , ehe der Tag beginnt. Daß sie ein schmales Fenster zwischen Raum und Zeit nutzen , um in verschiedenen Richtungen ein- und auszusteigen , ihre angestammte Sphäre zu erweitern , andere Gelände zu erkunden. Das Lateinbuch ist voller Bilder von Dryaden , Nymphen , den Hüterinnen der Eichbäume , die den Hirten erschienen sind , Götter verwirrten , heilloses Durcheinander anrichteten. Sie konnten auch Sterbliche lieben , wie Eurydike Orpheus , den größten der Dichter. Und den Tod finden durch einen Schlangenbiß. Dann blieb Verzweiflung zurück , nichts als Verzweiflung. Auf ihr wuchsen Verse vollkommenen Unglücks.
    Manchmal gehen auch Küchenmädchen dort spazieren. Die meisten von ihnen sind häßlich. Kein Vergleich mit Nymphen. So viele häßliche Mädchen wie in der Küche des Collegium Gregorianum Kahlenbeck finden sich sonst nirgends auf einem Haufen. Häßlichkeit ist ein Kriterium , das die Schwestern bei der Einstellung zu berücksichtigen haben , auch wenn das offiziell keiner zugibt. Gelegentlich rutscht aber doch eine durch das Raster , die man lieber anschaut als nicht anschaut. Derzeit gibt es zwei oder drei , die beinahe schön sind. Kaum einer aus den unteren Klassen kennt ihre Namen. Wer erfährt , wie eine von ihnen heißt , behält es für sich. Man kann nicht danach fragen , ohne sich lächerlich zu machen. Die Küchenmädchen sind sechzehn , wenn sie anfangen , achtzehn oder neunzehn , wenn sie die Hauswirtschaftsprüfung ablegen und fortgehen.
    Jetzt einer von den Schönen zu begegnen wäre ein Moment , der herausgehoben bliebe in der Erinnerung bis ans Lebensende. Sie könnte lächeln. Etwas Freundliches sagen. Das Lächeln eines Mädchens am frühen Morgen wäre mehr , als man vom Tag erhoffen kann. Wenn es einem tatsächlich gegolten hätte und nicht von dummen oder albernen Gedanken in ihrem Spatzenhirn verursacht worden wäre. Neben Häßlichkeit ist Dummheit die wichtigste Einstellungsvoraussetzung. All das , um die Versuchung klein zu halten. – Aber so schlecht ist kaum ein Mensch vom Schöpfer bedacht worden , daß überhaupt nichts Liebenswertes an ihm wäre , und ein Mädchen schon gar nicht.
    Vom Berg weht Tabakduft herunter , begleitet von Stimmen. Nicht zu erkennen , wer dort oben hockt , um in Ruhe zu rauchen.
    Carl wechselt die Richtung , verläßt den bewaldeten Weg längs des Grabens. Auf dem Gras klingen die Schritte anders als auf dem Kiesweg , anders auch als auf der roten Asche des Sportplatzes. Das Geräusch des eigenen Gangs , als wäre es der eines Fremden , der über das Gelände pirscht , um etwas Verbotenes zu tun.
    Weiter vorn wandern zwei Krähen. Halten an , schauen sich um , gehen weiter. Kehren zum Ausgangspunkt zurück. Offenbar verständigen sie sich über etwas Bestimmtes. Jetzt sehen sie zu ihm herüber , legen die Köpfe schräg , fragen sich , wer der Mensch ist , der sich dort nähert , überlegen , was sie von ihm halten sollen , unter den Rücksichten , die Krähen haben. Eine
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