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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
Autoren: Christoph Peters
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vorletzten. Wenn Kuffel weg ist , hat er hier niemanden mehr. Er wird vollständig allein sein. Der Gedanke bläht sich zu voller Größe auf , wie eine Blase , die ihn einschließt. Aus allen Zimmern dröhnt andere Musik: Deep Purple , Brahms , Alan Parsons , Ideal: »Sex – Sex in der Wüste«.
    Mit Guntram kann er sich unterhalten , sie denken vielfach ähnlich.
    Es riecht nach Instantbouillon und aus dem Raucherzimmer nach Rauch. Ebeling steht am Boiler , läßt heißes Wasser in seine Teekanne laufen , winkt kurz , sagt aber nichts.
    Sie gehen die Treppen hinunter. Kuffel langsam , Stufe für Stufe , Carl in Sprüngen. Er wartet auf jedem Absatz , bis Kuffel nachgekommen ist.
    »Und wann genau ziehst du nach Linz?«
    »Das ist alles noch nicht endgültig geklärt. Vielleicht ergibt sich auch eine andere Möglichkeit. Es hängt davon ab , wie sich die Lage kirchenpolitisch entwickelt. Angeblich will Rom … Also der Kardinal wird dafür sorgen , daß künftig mehr in unserem Sinne gearbeitet wird …«
    »Inwiefern.«
    »Vor allem im deutschsprachigen Raum. Darüber darf ich vorerst aber nicht sprechen. Es sind viele Dinge in Bewegung. Die Zeit der Modernisten nähert sich jedenfalls definitiv dem Ende.«
    Kuffel bleibt stehen , lacht auf.
    Vor ihnen der Kreuzgang , schwarzer Steinboden , oben die hellen und hohen Gewölbe. So müßte die von Licht und Geist durchwirkte Stadt Gottes auf dem Berg Zion sein. Nur wärmer.
    Kuffel biegt nach rechts , obwohl es linksherum kürzer wäre.
    »Willst du noch an Roghmanns Grab?«
    »Da war ich schon , bevor ich zu dir gekommen bin.«
    Carl denkt , daß dies jetzt seine letzte Runde mit Kuffel durch den Kreuzgang ist , daß sie nie wieder in aller Herrgottsfrühe gemeinsam in die Beterkapelle zur Messe gehen werden , nie mehr einfach so abends zusammen auf dem Zimmer sitzen , Musik hören , trinken , reden. Fortan werden sie sich höchstens alle halbe Jahre sehen , und dann wird es keine Selbstverständlichkeit mehr haben , weil sie in völlig verschiedenen Welten leben: Bei Kuffel ändert sich alles und bei ihm nichts , außer daß Kuffel weg ist.
    Die Eingangstür vor Haus Aventin öffnet sich , Bruder Walter kommt in den Kreuzgang , grinst von weitem , bleibt stehen: »So Bernhard , war es das für dich hier?«
    Kuffel nickt.
    Links die Fenster der Bischöfe , die Schüler in Kahlenbeck waren , Gereon Bieshagen , Bischof von Essen , geboren 1932 , Abiturientia 1953 …
    »Und wo geht es jetzt hin?«
    »Mal sehen , wohin die Vorsehung uns verschlägt , nicht wahr.«
    »Carl ist sicher sehr traurig.«
    Kuffel hält den Blick gesenkt und sagt nichts.
    »Dann wünsche ich dir alles Gute. Es heißt ja , du hättest Großes im Sinn.«
    Streckt ihm die Hand entgegen.
    »Für Sie auch , Bruder Walter.«
    Sie gehen nach links weiter , an der Michaelskapelle vorbei , jemand übt Orgel , nähern sich der Tür zur Küche. Carl denkt einen Moment an die schöne Lydia , die ihn noch nicht einmal zur Kenntnis genommen hat , und daß sie genau jetzt um diese Zeit dort herauskommen könnte. Dann sähe sie ihn mit Kuffel in seinem abgrundtief häßlichen Blouson , den lächerlichen Trachtenkleidern. Hoffentlich nicht.
    Was könnte er sagen?
    »Meinst du , unsere Freundschaft wird halten?« fragt Kuffel.
    »Bestimmt. Sicher. Warum zweifelst du?«
    »Ich schicke euch wie Schafe mitten unter die Wölfe …«
    »Ja , aber wir können telephonieren und uns schreiben. Und in den Ferien besuchen wir uns. Kein Problem.«
    »So machen wir das.«
    Vor der Küchentür wieder links: Jetzt sind es noch dreißig Meter. Kuffel wird langsamer. Rechterhand führen die Stufen zur leeren Präseswohnung hinauf.
    »Es heißt« , sagt Kuffel , »der Bischof hätte jetzt endlich jemanden , den er hierherschicken kann.«
    »Wird auch Zeit.«
    »Hoffen wir , daß es jemand ist , der geistliches Gewicht hat und den Laden zusammenhält. Der Druck von draußen wird immer weiter zunehmen.«
    Sie sind im Glasgang. Draußen schüttet es , der Platz ist eine einzige Pfütze. Kuffel bleibt stehen.
    »Ich fürchte , hier trennen sich unsere Wege.«
    Carl denkt , daß dies der Moment ist , vor dem er sich seit Monaten gefürchtet hat , es müßte ein Riß durch seine Brust gehen , ein Weinkrampf oder ein Schrei zum Himmel.
    »Keine Ahnung. Was sagt man in solchen … Du bekommst Post von mir.«
    »Das würde mich freuen.«
    »Auf jeden Fall.«
    Carl sucht tief im Hals nach einem Schluchzen , versucht sich auf Tränen zu
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