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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
Autoren: Christoph Peters
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Bußübungen zu unterwerfen. Steht auf , atmet tief durch. Zieht das Oberteil des Schlafanzugs aus , streift die Hose ab , kniet sich unter das Fenster auf den nackten Boden. Friert. Jesus , Sohn Gottes , erbarme Dich unser , Jesus , Sohn Gottes , erbarme Dich unser , Jesus , Sohn Gottes , erbarme Dich unser. Zittert so , daß er kaum geordnet atmen kann. Die Vorstellung , das über Monate , Jahre zu tun , um doch noch eine geringe Chance auf Rettung zu wahren. Eine kurze Erschütterung angesichts der eigenen Entschlossenheit. Eine Geißel wäre besser als ein Bußgürtel , zumindest solange er noch hier in Kahlenbeck ist und mit den anderen beim Essen , in der Kirche oder im Unterricht sitzt. Wenn er bei jeder falschen Bewegung das Gesicht verzerren würde , käme schnell einer auf die Idee , ihn nachzuäffen , wie er selbst Bergmanns Mundzucken oder Joschrupps Schnappatmung nachäfft. Zweimal die Woche , wenn die Sportstunden sind , müßte er das Bußinstrument weglassen , und beim Schwimmen sähe man Rötungen , Einstiche. Er würde danach gefragt werden. Hingegen könnten Geißelwunden auf Schultern und Rücken als Akne durchgehen.
    Herr , erbarme Dich , Christus , erbarme Dich , Herr , erbarme Dich.
    Wäre es ihm ernst mit der Umkehr , würde er das Gelächter der anderen nicht fürchten , sondern herbeisehnen , damit er sich in ihrem Spott dem verspotteten Herrn anverwandeln könnte.
    Die Knie beginnen zu schmerzen , schlimmer als auf Kirchenbänken. Er beißt die Zähne zusammen , aber da ist nur der Wunsch aufzustehen , wenigstens kurz , damit der Schmerz sich beruhigt. Vielleicht schädigt er den Meniskus. Wenn er nachgibt , hat der Satan den nächsten Sieg errungen. Der Satan kann sich auch als Stimme der Vernunft tarnen. Wie gewinnt man die Herrschaft über die Stimmen im Kopf? Es ist sinnlos. Er hat nicht einmal genug Kraft , eine halbe Stunde im Gebet zu verharren , geschweige denn ganze Nächte. Zähneklappern. Zittern wie von Krämpfen. Er ist ein Schwächling. Schmerzechos von der Stelle im Unterarm. Pochen. Er versucht es noch einmal , nimmt die Fingernägel , aber Hand und Arm rucken unkontrolliert hin und her , vor und zurück. Er scheitert sogar daran , sich so fest zu kneifen , daß es nicht mehr zum Aushalten ist.
    Wenn aber das Salz seinen Geschmack verloren hat , wie kann man es wieder salzig machen? Es taugt weder für den Acker noch für den Misthaufen , man wirft es weg.
    Vor ihm liegt seine Jeans , darin der schwere Ledergürtel mit der eisernen Schnalle. Das Bild einer Bewegung , die Vorstellung , wie es sich anfühlt. Meiers Vater nimmt Gürtel zum Prügeln des Sohnes. Es könnte gehen. Er steht auf , schaltet die Nachttischlampe ein. Setzt sich auf den Teppich , zieht den Gürtel aus dem Hosenbund. Die Knie erholen sich schon wieder. Er hätte es viel länger aushalten können. Schaut sich die Schnalle an. Sie ist abgerundet. Wunden werden sich damit kaum reißen lassen. Er schlägt mit halber Kraft auf seine Handfläche. Es tut ein bißchen weh. Löscht das Licht , damit Bruder Walter nicht hereinkommt , falls er einen Kontrollgang macht. Kniet sich wieder hin , diesmal mit dem Teppich unter den Knien , um länger durchzuhalten. Sobald er abgehärtet ist , wird er ihn weglassen. Faßt den Gürtel mit beiden Händen. Ein Drittel der Länge baumelt frei aus der Rechten. Er läßt es vor- und zurückpendeln , um ein Gefühl zu bekommen , wie sich Dorn und Schnalle verhalten. Zweifelt: Ist es richtig , derart gegen sich vorzugehen , oder spielt er wieder nur? Stammt der Zweifel von oben oder von unten , von innen oder von außen , wie läßt es sich unterscheiden? Vielleicht hat er Lust am eigenen Schmerz , so wie es ihm Spaß macht , andere zu quälen. Dann würde alles noch schlimmer. Es wenigstens versucht zu haben , damit er am Tag des Gerichts nicht einräumen muß , eine Möglichkeit für wahrhaftige Reue in Gedanken , Worten und Werken ausgelassen zu haben , obwohl sie ihm klar vor Augen stand. Der Sieg über die Gier , das Verlangen. Jetzt: Er läßt den Arm gegen die Brust schnellen , seine Faust , die das Leder umklammert , schlägt gegen das Schlüsselbein. Einen Moment später der Aufprall von Schnalle und Dorn unterhalb des Schulterblatts. Unangenehm ; weit entfernt von Marter. Und es geht fester. Diesmal über die linke Schulter. Die Fingerknöchel auf den oberen Rippen. Hartes und Weiches fallen in einem Punkt zusammen. Abklingen , Luft holen. Das Zucken unter Schmerz ist
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