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Wir haben gar kein Auto...

Wir haben gar kein Auto...

Titel: Wir haben gar kein Auto...
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mehr, die Taschen bleiben ungepackt, und die Pferde kehren in den Stall zurück, um Hafer zu fressen.
    Wer soll da nicht schwermütig werden!
    Gerlinde, Juttas Mama, und ihre Freundinnen haben eine Überraschung für uns vorbereitet. Das Treffen ist für heute, den 7. September, um 12.00 Uhr vereinbart, und wir sind auf alles gefasst, nur nicht darauf, ein Grüppchen sympathischer älterer Damen anzutreffen, die ein Transparent mit dem Schriftzug »Ziel« hochhalten und uns Lorbeerkränze um den Hals legen. Allenfalls hätten wir erwartet, einen befreundeten Journalisten oder einen deutschen Paparazzo vorzufinden, der einem Knüller hinterherjagt. Denn Gerlinde hatte uns vor ein paar Tagen mitgeteilt, dass sie uns am Theater um die und die Zeit jemandem vorstellen wolle, ohne weitere Erklärungen abzugeben. Deswegen war die Hypothese, dank ihr als Komplizin am Ziel dem Überfall eines Fotografen oder Kameramanns ausgesetzt zu sein, gar nicht so unwahrscheinlich.
    So endet es nun, unser Abenteuer, auf der mythischen Ziellinie des Teatro Puccini. Unter den neugierigen Blicken von Touristen und Passanten vollzieht sich eine äußerst unterhaltsame Minishow, und wir werden gebührend gefeiert. Sogar Gino bellt leise, nach der langen Woche, die er einsam und allein verbringen musste.
    Jetzt, da die Tour München – Meran vorbei ist und ein leichter Wind auch die letzten Konfettireste der Preisverleihung fortweht, bleibt die Wiederentdeckung verschiedener Orte fern der Großstädte.
    Die alte Via Claudia Augusta mit ihren Bauern-, Berg- und Provinzdörfern, die höchstwahrscheinlich nicht in denpolitischen Umfragen, in den Berechnungen der Fernsehquoten und in den Geschäftsstatistiken berücksichtigt sind, hat uns in emotionaler Hinsicht reich beschenkt. Wir haben die Fähigkeit wiederentdeckt, uns mit wenig zu vergnügen: einer Bergauffahrt, die kein Ende nimmt, einer rasend schnellen Talfahrt, einem schlammigen Weg, einem gehörigen Schweißausbruch, einer lustigen Rutschpartie. Nach gerade mal einer Woche ist Jutta sogar geduldiger geworden, und ich bin sicher, dass sie von nun an nicht einmal mehr vor einer Ampel, die einfach nicht grün werden will, ausrasten wird.
    Das Rad ist zu unserem normalen Fortbewegungsmittel geworden. Und die Via Claudia Augusta zu unserem goldenen Mittelweg. Letzterer wird ja bekanntlich nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern verändert sich entsprechend den Umständen, die das Leben für uns bereithält. Buddhistisch betrachtet, könnte man sagen, dass Fahrrad fahren und lernen, das Gleichgewicht zu halten, eine individuelle Erfahrung sind, die jeder für sich machen muss. Eine derartige Erfahrung zu zweit zu machen ist noch schwieriger. Doch wenn es einem gelingt, mit dieser tiefen Erkenntnis in die Pedale zu treten, lösen das Denken und der Geist sich auf, und »die zwei« werden eins mit der Straße.
    Danke,
amore mio,
dass du mir diese Gelegenheit gegeben hast. Du konntest mir kein größeres Geschenk machen. Für mich hat das Fahrrad immer so viele Dinge bedeutet, doch ich will mich nicht in der üblichen Aufzählung von Erinnerungen verlieren, in denen das Wort »magisch« auftaucht, oder andere persönliche Episoden beschwören. Mir genügt es, dir eine andere Geschichte zu widmen, ein unvergessliches Bild meines Landes aus einem alten Film:
Es war einmal ein armes Land namens Italien mit geringen Löhnen und entsprechend eingeschränktem Konsum, in dem derKauf eines Fahrrads ein erhebliches Opfer für eine Familie bedeutete. In der bürgerlichen Schicht der Angestellten war es die Belohnung für den Sohn, der die höhere Schule beendete, für die Arbeiter, Tagelöhner und Bauern dagegen ein Arbeitsinstrument und zudem häufig die Voraussetzung, überhaupt Arbeit zu bekommen. Während des Krieges benutzten die Stafetten der Partisanen das Fahrrad, und in den schwierigen Nachkriegsjahren war es das einzige Mittel, um im Sommer ans Meer oder in die Berge zu fahren, um im Freien zu picknicken.
    Es war ein Italien, in dem der Diebstahl dieses wertvollen Transportmittels ein regelrechtes Drama war. Erinnere dich an den schönen Film von Vittorio De Sica,
Fahrraddiebe,
der im Rom der kleinen Gauner, der Betrüger, der professionellen Diebe und der müden Ordnungshüter (von denen man nie weiß, ob sie mit den Dieben unter einer Decke stecken
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