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Wir Genussarbeiter

Wir Genussarbeiter

Titel: Wir Genussarbeiter
Autoren: Svenja Flaßpoehler
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Welt rollenden, vierarmigen und vierbeinigen Kugelmenschen, wie sie in Platons Gastmahl beschrieben werden, sondern Verlangende. So wie die Kugelmenschen, nachdem sie von Zeus in zwei Teile geschnitten wurden, sich nach ihrer verlorenen Hälfte sehnen, sehnen wir uns nach Anerkennung. Um es mit dem französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan zu sagen: Wir begehren das Begehren des Anderen.
    Doch auch wenn dieses Begehren nie restlos gestillt werden kann und wir notgedrungen (oder auch zum Glück, denn sonst hätten wir keinerlei Antrieb mehr) mit einer gewissen Grundspannung leben müssen: Dass wir heute in einem Burnout-Zeitalter leben, zeigt deutlich, wie übertrieben wir uns für den Anderen verausgaben, wie fundamental gestört also die gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnisse sind. Weil es in der Wettbewerbsgesellschaft primär um Erfolg geht und die Arbeit häufig lediglich ein Mittel zum Zweck darstellt, ist sie sinnentleert, hohl, und vermag kein tiefes Selbstwertgefühl zu vermitteln. Darüber hinaus ist das Verhältnis von Verausgabung und Wertschätzung vollends aus dem Lot geraten. Wir erleben zur Zeit, so meint der Medizinsoziologe Johannes Siegrist, eine schwere ›Gratifikationskrise‹. Aus ideellen oder auch strategischen Gründen erschöpfen wir uns in schlecht oder gar nicht entlohnten Projekten, machen unbezahlte Praktika, Fortbildungen, Umschulungen, stets hoffend, damit in die Zukunft zu investieren und früher oder später die angemessene Anerkennung zu erfahren. Wird die Hoffnung enttäuscht, so stellt Siegrist zusammen mit dem schwedischen Stressforscher Töres
Theorell fest, kann das »dramatische Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden haben«.
    Die lebenswichtige Struktur wechselseitiger Anerkennung hat Freud (wie vor ihm Hegel und Marx) gesehen und sie zum Fundament seiner Theorie erklärt: Anstatt den Menschen als Maschine zu verstehen, nimmt Freud ihn als begehrenden in den Blick – als ein Wesen, das erst in seiner Beziehung zu einem Anderen, dessen Anerkennung er sich erhofft, seine Produktivität, sein erotisches Verlangen entwickelt.
    Die andere Seite der menschlichen Unvollkommenheit und Abhängigkeit, auch diese sieht Freud wie kein Zweiter, ist die Todesangst. Es ist dies die Angst vor der eigenen Ohnmacht, vor dem Ausgeliefertsein an einen Anderen, vor dem Nichts, dessen Kälte den Menschen immer dann anhaucht, wenn er die Anerkennung, nach der er sich sehnt, nicht bekommt. Die Neurowissenschaften interessieren sich für diese Angst nicht in ihrer existenziellen Dimension; sie wollen sie lediglich möglichst schnell zum Verschwinden bringen. Aber die Angst verschwindet nicht, sie wird höchstens eingedämmt; und sie verschwindet auch nicht, indem man ihr durch Hyperaktivität zu entfliehen versucht. Vielmehr führt dieser Aktivismus, je weiter man ihn treibt, geradewegs ins Nichts hinein, in die vollständige psychische Lähmung, die Angstlähmung, das körperliche und seelische ›Ausgebranntsein‹, den Burn-out , wie man die Depression heute euphemisierend nennt.
    Die alles entscheidende Frage lautet demnach: Woran liegt es, dass wir heute so angestrengt um Anerkennung kämpfen? Findet dieser Kampf seine Ursache womöglich auch und insbesondere in der Arbeit selbst, da diese, als entfremdete, uns nicht das eigene Sein spiegelt? An welchem Punkt schlägt der Kampf um Anerkennung in eine Sucht nach Anerkennung um? Inwiefern ist der Workaholic vergleichbar mit einem
Pornodarsteller, der den Sex nicht um des Sexes willen, sondern einzig und allein für die Kamera vollzieht? Existiert womöglich ein säkularisiertes, abstraktes ›göttliches Auge‹, von dem wir uns unausgesetzt beobachtet fühlen und dem zu Gefallen wir alles unternehmen? Was ist das für ein imaginärer Anderer, dessen Blick wir auf uns fühlen? Ein liebender, der uns loszulassen erlaubt? Oder ein tyrannischer, dem wir nicht genügen können? Weshalb verausgabt sich der Workaholic bis zum Exzess? Inwiefern ähnelt er einem Asketen, der, wie es bei Paulus heißt, seinen Leib zerschlägt, um das göttliche Kleinod zu erwerben? Und: Dient der Wellness-Genuss wirklich nur dem eigenen Wohlbefinden? Oder ist er nicht doch zutiefst verschaltet mit einem emotionalen Weichspül-Kapitalismus, dessen Seele das »flüssig sein« (Wolfgang Ullmann), das flexible Floaten im globalen Raum ist?
    Der Mensch ist kein unabhängiges Wesen, er existiert nur in Beziehungen; er hat immer ein Gegenüber (ob real oder imaginär,
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