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Wir beide nahmen die Muschel

Wir beide nahmen die Muschel

Titel: Wir beide nahmen die Muschel
Autoren: Heinz Hendrix
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in den Urlaub geflogen sind.« Heute
musste ich ihm leider absagen, Mia hatte alles umgeschmissen und holt uns mit
Helgas Tochter, Julia, ab. Ich werde mich jetzt noch duschen und dann zeitig zu
Bett gehen. Es ist 21:30 Uhr und die Sonne strahlt noch sehr warm vom Himmel.
Morgen noch in Santiago, dann ist alles vorbei. Es wird für mich eine große
Umstellung werden, ich wäre gerne noch einen Monat länger gelaufen, besonders
bei diesem Wetter. Wir hatten uns die schönste Jahreszeit ausgesucht und wollen
dankbar sein, dass wir dies alles erleben durften. Der Winter war, als wir
losgingen, zu Ende und die Natur war explodiert. Zuerst die Bergspitzen noch im
Schnee, dann kam das erste Grün, das Blühen der Bäume. Alle Wege leuchteten
gelb vom blühenden Ginster. Die ersten neuen Kartoffeln wurden uns serviert,
zum Schluss die köstlichen süßen Kirschen. Bedanken müssen wir uns bei all den
Vögeln, welche uns mit ihrem Gesang jeden Tag erfreut haben. Wie viele schöne
Schmetterlinge und schnelle Eidechsen bekamen wir zu Gesicht. So viele Dinge
könnte ich noch weiterführen, es würde kein Ende nehmen. Heute sind sehr wenige
Pilger angekommen, wir waren mit unseren beiden Omas weiter allein im
Schlafsaal. Vielleicht bekommen wir heute eine ruhige Nacht ohne Böllerschüsse.

Dritter Tag in Santiago de Compostela
     
    Montag, den
20. Juni 2011
     
     
    S ehr
verschlafen waren wir um 8:00 Uhr aufgestanden. Unsere Omas waren schon wach
und saßen mit ihren langen Nachthemden im Bett und beobachteten uns wie Spürhunde.
Plötzlich bekamen sie, wie aus heiterem Himmel, Streit. Sehr laut fetzten sich
die beiden. »Heinz, ich finde das unmöglich, wie kann man in deren Alter sich
noch so streiten, ich habe noch eine Tafel Schokolade, ich breche jetzt zwei
Riegel ab und versuche dort Frieden zu schlichten.« Helga holte aus ihrem
Rucksack die Schokolade und ging zu ihnen und bot sie ihnen an. Das hätte sie
besser nicht getan, sie schimpften noch lauter auf Helga ein, es hätte nicht
viel gefehlt und sie hätten meine Partnerin mit den Füßen getreten. Ich rief
sie sofort zurück. »Helga, weißt du über wen die Beiden schimpfen, über uns?
Denk einmal nach, was haben uns gestern die Pilger, die draußen saßen, gesagt,
die Alten hätten beim Wachmann geschrien, die dreckigen Deutschen haben uns
verraten. Damit haben die uns gemeint, da wir leider ihre Sprache nicht
sprechen und verstehen, können wir uns bei ihnen nicht rechtfertigen.« Wir
ließen sie schimpfen, zogen uns fertig an und gingen frühstücken, danach
verließen wir die Albergue. Der Bus zur Innenstadt fuhr uns vor der Nase ab.
Wir hatten Zeit genug und kamen trotzdem noch rechtzeitig zur Kathedrale. Heute
hatten wir nur einen Programmpunkt, Abschied nehmen von unserem Apostel
Jakobus. Ganz vorne in der dritten Reihe waren noch Plätze frei, es war noch
über eine Stunde bis zum Beginn der Messe. Ich dankte Gott für diesen
wunderbaren Weg: dafür, dass wir ihn gehen konnten, für die Weggefährten die
wir getroffen hatten, dafür, dass wir ihn ohne Krankheiten und Unfälle überstanden
hatten. Ich bin dankbar für das Geschenk des Pilgerns! Kurz vor 12 Uhr kam
wieder die Nonne und probte mit uns einige kurze Liedtexte ein, sie hatte eine
glockenhelle begnadete Stimme. Es folgte eine festliche Messe mit sieben
Geistlichen. Nach der Messe blieben wir noch über eine Stunde in der Bank
sitzen, keiner wollte als erster aufstehen und den anderen in seiner Andacht
stören. Heute kann ich die Pilger im Mittelalter verstehen, die einen ganzen
Tag und eine Nacht im Gotteshaus betend verbrachten. Jeder von uns nahm heute
zum letzten Mal Abschied. Wir umarmten danach noch einmal seine Büste hinter
dem Altar und beteten an seinem Schrein. »Helga sollen wir den Tag nicht so
beenden, wie wir ihn am Anfang begonnen haben?« Sie nickte mir zustimmend zu. Wir
kauften uns eine gute Flasche Sekt, setzten uns auf dem Kathedralsplatz und
ließen den Korken knallen. Er knallte besonders laut. Eine Amerikanerin neben
uns klatschte Beifall und fotografierte uns mit meinem Apparat zur Erinnerung.
Es zog uns wieder rein in die Kirche, wir konnten uns von unserem Jakobus noch
nicht lösen. Wir setzten uns in den abgesperrten Bereich für Beter und jeder
ging seinen Gedanken nach. Es wurde plötzlich unruhig im Kirchenraum, einer
erzählte dem anderen etwas. Was mag da los sein? Eine Pilgerin setzte sich
neben uns und sagte: »Heute Abend wird das Botafumeiro geschwenkt.« Wir
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