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Wir beide nahmen die Muschel

Wir beide nahmen die Muschel

Titel: Wir beide nahmen die Muschel
Autoren: Heinz Hendrix
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genossen den Tag. Heute am Sonntag war die Stadt voller Menschen,
alle Restaurants boten fertige Tellergerichte an. Sie standen auf der Theke und
man brauchte nur drauf zu zeigen. Bestimmt eine Stunde hatten wir dem Treiben
zugeschaut. Plötzlich lautes Geschrei und Trommelwirbel, unsere protestierende
Studenten kamen, schwarz gekleidet, und trugen die Gesetzgebung Santiagos zu
Grabe. Viele junge Mädchen gingen als Trauerweiber und heulten fürchterlich.
Ich hatte so interessiert zugeschaut, dass ich vergaß, dieses Specktakel zu
fotografieren. Die Andenkengeschäfte hatten heute geöffnet, leider nicht die
Lebensmittelmärkte. Wir hatten trotzdem Glück und bekamen für unser Abendessen
zwei Baguette, 12 Eier und zwei Flaschen Wein, auch damit kann ein genügsamer
Mensch satt werden. Wir fuhren mit dem Bus zurück und ich hatte Zeit zum
Schreiben. Es ist nun fast 19:00 Uhr mein Bericht war fertig und ich hatte
Hunger. Mal sehen, was meine Pilgerschwester dazu sagt? Auch sie hatte Hunger
und so fing ich an zu kochen. Gestern hatte eine Pilgerin vier große Kartoffeln
liegen gelassen, diese hatte ich mir weggelegt. Wir hatten noch vier
Knoblauchzehen, alles schön gewürzt mit Salz, Pfeffer und Paprika, dazu sechs
gebratene Eier. Ein Glas Wein dazu und es schmeckte uns, wie von einem
Sternekoch zubereitet. Unsere Omas kamen zurück und erzählten, sie hätten
gesehen, wie das Rauchfass in der Kathedrale geschwenkt worden wäre. Sie hatten
uns alle belogen. Als wir heute Morgen zu spät in die Kathedrale kamen, waren
die beiden noch in der Albergue. Auch in der Abendmesse um 19:30 Uhr konnten
sie nicht gewesen sein, sie waren schon um 20:00 Uhr zurück. »Heinz, würdest du
bitte heute spülen, ich möchte mich noch duschen.« Ich wollte gerade damit
anfangen, als die älteste Oma in die Küche kam und den größten Topf halb voll
heißes Wasser laufen ließ. In diesem Topf passten bestimmt fünfzehn Liter. Sie
hatte schwer daran zu schleppen. Ich hätte ihr den Topf bestimmt getragen, aber
sie hatte uns alle hier belogen. Ich sah noch, wie sie gegenüber zu unserem
Schlafgebäude ging. Was wollte die dort mit einem Suppentopf? Ich wusste mir
darauf keine Antwort. Kurze Zeit später kam die andere Oma, nahm sich den
nächst kleineren Topf, füllte ihn mit kaltem Wasser und ging damit nach
gegenüber. Ich konnte über diese Beiden nur den Kopf schütteln, die waren nicht
ganz normal. Ich war mit meinen Spülen noch nicht ganz fertig, als Helga außer
Atem angelaufen kam. »Heinz, komm ganz schnell, du benötigst deinen
Fotoapparat, so etwas hast du noch nicht gesehen. Lass alles hier liegen, du wirst
es nicht bereuen.« Ich ging mit ihr aus dem Küchengebäude. Vor der Rezeption
saß eine größere Gruppe deutschsprachiger Pilger und alle lachten schallend. Da
musste jemand einen tollen Witz erzählt haben, den hätte ich auch gerne gehört.
Wir kamen in unser Gebäude und vor unserem Schlafsaal bremste Helga mich ab.
»Schau einmal ganz vorsichtig rein.« Ich lauerte um die Ecke und platzte bald
aus vor Lachen. Mitten im Gang standen die beiden gefüllten Töpfe, die Omas
saßen sich gegenüber und machen darin Wechselbäder, planschten genussvoll und
sangen dabei. Der ganze Boden war nass, vielleicht träumten sie von einem
Badestrand. Ich stelle mir das jetzt noch einmal bildlich beim Schreiben vor
und kann vor lauter Lachen kaum noch meine Computertastatur bedienen. Das
durfte es doch nicht geben. Jetzt weiß ich auch, warum die draußen so gelacht
haben. Unsere Albergue hatte als einzige auf dem Pilgerweg einen Wachmann. Er
versah seinen Dienst von 19:00 Uhr — 7:00 Uhr in der Früh. Die Pilger draußen
hatten ihn darauf aufmerksam gemacht. Er kam mit zwei leeren Eimern, sprach mit
ihnen und schüttete das Wasser in die Eimer. Die beiden Alten schrien furchtbar
mit ihm. Er blieb ganz ruhig, nahm die beiden Töpfe und nahm sie mit in die
Rezeption. Die beiden Alten liefen schreiend im Nachthemd hinter ihm her. Ich
ging zurück und spülte weiter. Nachher erfuhr ich, dass die beiden immer wieder
geschrien hätten, wir sind Spanier wir dürfen das, die dreckigen Deutschen
haben ihnen das gesagt. Auch das ist der Camino im 21. Jahrhundert!
    Eben habe
ich meinen Wanderfreund, Günter, angerufen. Drei Mal hatte er sich schon bei
uns gemeldet und mir immer wieder gesagt, dass er uns am Flughafen abholen
kommt. »Ich habe euch dahingefahren und komme euch auch wieder abholen, dafür
hast du uns ja auch gefahren, als wir
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