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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten
Autoren: Hilmar Klute
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Fehmarn.
    Wir hinterlassen, sofern wir in diesem Leben überhaupt Spuren hinterlassen, wo wir sitzen, gehen und stehen, unsere sogenannten CO 2 -Fußabdrücke. Und in dem Augenblick, da wir uns bewusst machen, dass wir selbst dann, wenn wir vornehm in ein Kissen rülpsen, die Erde einen winzigen Millimeter näher an den Abgrund pusten, sind wir irgendwie nicht mehr die Alten, nicht wahr? Es ist leider nun einmal so, dass wir nicht beides können: Freude am Leben haben und gleichzeitig immer gut zu unserer Erde sein. Überhaupt können wir nicht immer gute Menschen sein, wenn wir gut leben wollen. Selbst wenn wir bei jeder Moussaka, die wir mit heimischen Gurken und extrem fair gehandelten Auberginen zusammenpanschen, wenn wir bei jedem Kilojoule Fleisch, das wir uns wider jede Vernunft gönnen, den CO 2 -Rechner von Greenpeace konsultieren wie früher die sündige Stallmagd den Dorfpfarrer: Wir werden niemals den Wert erreichen, der uns freispricht vom Vorwurf, auf Kosten der Dritten Welt und des globalen Klimas zu leben.
    Also, was machen wir jetzt? Trotzdem alles leer fressen, trotzdem durch die Welt rasen wie Zugvögel, trotzdem den Hummer kalt über die Papplasche rutschen lassen, trotzdem einen Lichterkranz aus 100-Watt-Birnen um die Stirn tragen? Oder anders herum grundsätzlich in Sack und Asche gehen und die Lebensfreude so weit dimmen, dass sie keine Emissionen mehr abgibt? Ach, da ist es schwer, zu etwas zu raten. Vielleicht sollte man sich eine oder zwei Sünden aussuchen, mit denen man sein eigenes Leben bereichert und welches das der anderen nur in Maßen zerstört. Ansonsten können wir, wenn wir ehrlich sind, mit einem schlechten Gewissen auch ganz gut leben.
    Wer das Gegenteil behauptet, ist entweder naiv oder ein Lügner, und das Diktat des verantwortungsvollen Lebens ist die Kopfgeburt von Totalitaristen. Als würden wir künftig nicht in Verteilungskämpfen stecken, als müssten wir in näherer Zukunft nicht zusehen, dass wir überhaupt einen Wert in unserem Leben markieren können, der nichts mit Geld zu tun hat, das uns ja auch zusehends schwinden wird und dessen Verlust uns womöglich noch tiefer schmerzen wird als der Verlust der Sinnhaftigkeit unseres Lebens.
    Natürlich wollen wir uns nicht in die Reihe derer stellen, die glauben, sie könnten der Menschheit mit ein paar Handreichungen aus der Misere helfen. Selbst ernannte Erlösungsfiguren und Verhaltensdiktatoren haben wir zur Genüge, sie halten mit ihren asketischen Spinnenfingern die Fackel an unsere Idee vom freiheitlichen Leben.
    Dass wir etwas leisten müssen am Arbeitsplatz, zu Hause oder sonst wo in der Welt, sollte ein allgemeingültiges Gesetz bleiben, und die ewige Litanei, unser Leben in der digitalen Welt sei dermaßen schwierig zu bewerkstelligen, ist auf Dauer eine schwer erträgliche Begleitmusik. Wir wollen und sollen versuchen, gut zu leben, Genuss und Faulenzerei gehören dazu, zumal diese beiden kleinen Teufelchen harmloser sind als Burnout und Therapie, übrigens auch preiswerter für die Gesellschaft. Es mag gut sein, dass wir auf diese Weise einigen Kaffeebauern in Bolivien nicht helfen werden. Es ist auch wahrscheinlich, dass wir mit allem, was wir tun, eher dazu beitragen werden, dass die Umwelt belastet wird und die Ungerechtigkeit in der Welt eher wächst als sich verringert.
    Die quasireligiöse, bußpredigerhafte Anmaßung der Askese-Apologeten hat etwas vom alttestamentarischen Apokalypse-Gekreisch. Jahrelang haben wir zu gut gelebt, wollen sie uns sagen. Viel zu lange hat der Wohlstand das legitimiert, was ihr für ein gutes Leben haltet. Jetzt kommen aber Zeiten, da ihr euch zusammenreißen, den Gürtel enger schnallen, die hellen Glühbirnen raus- und die Energiesparlampen reindrehen müsst. Die Verzichtprediger sind die kleinen miesen Heinzelmännchen des allgemeinen Burnouts: Wenn ihr weniger wollt, weniger konsumiert, weniger esst, trinkt, vögelt, dann wird wieder alles ins Lot kommen. Das Gegenteil ist richtig. Wir müssen uns für die Zeiten, die jetzt kommen, wappnen. Aber nicht, indem wir Büßergewänder anziehen und uns mit Kathrin-Hartmann-Büchern geißeln. Die Ausgebrannten dieser Welt können jetzt ruhig mal die Zügel locker lassen: Auch wer Tag und Nacht erreichbar ist, wird nicht verhindern können, dass unser Wohlstand zusammenschnurrt. Wir müssen das aber alles nicht zulassen. Wir können uns dafür entscheiden, gut zu leben, und diese Entscheidung schließt den Verzicht auf bestimmte
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