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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten
Autoren: Hilmar Klute
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dürfen, wie wir gerne möchten, und ob die Welt vielleicht noch ein bisschen schlechter wird, als sie ohnehin schon ist, wenn wir es uns gut gehen lassen. Blöderweise kann man uns auch aufgrund unserer Erziehung und Bildung dermaßen leicht am ethischen Schlafittchen packen, dass wir in allem, was das Leben einigermaßen erträglich macht, unsicher werden wie größer gewordene Kinder, denen zum ersten Mal klar wird, dass man nach dem Sprung vom Dreier theoretisch auch querschnittsgelähmt sein kann.
    Wenn wir eine Handvoll bunten Pfeffer in ein blutiges Stück Fleisch einmassieren, denken wir nicht mehr an Jean Anthèlme Brillat-Savarin, den eleganten Küchenhedonisten aus dem Paris des 19. Jahrhunderts, nicht mehr an seine große Feier der aufwendigen Kulinarik und des Epikureertums und damit auch nicht mehr an seine legendäre Cointreau-Ente oder den Hautgout-Fasan, der an den Schwanzfedern aufgehängt wird und erst zubereitet werden kann, wenn er vom Haken fällt. Nein, wir denken leider an Jonathan Safran Foer, den amerikanischen Schlachthausbegeher, der uns mit verdruckst auf die kalte Herdplatte gedrücktem Daumen erklärt, dass wir mit unserem Wunsch, Fleisch zu essen, die Klimakatastrophe befördern und das endlose Leid der Lämmer und Schweine in eine neue Dimension führen. Wir denken an unsachgemäß betäubte Hühner, an Kälber, die schwer verwundet durch die Plantage laufen, weil irgendein grober Schlachtergeselle sie nicht ordnungsgemäß getötet hat.
    Beim Fachbegriff »Hummeressen« erinnern wir uns nicht mehr an die unermesslich schönen Sommerabende, an denen wir im Languedoc sündhaft überladenen Assiettes de fruits de mer gegenübersaßen und das schöne weiße Fleisch aus den Armen der Krustentiere zogen, nicht mehr an die Momente entrückter Genusssucht im Hafen von Sète, während die verschwitzten Fischer die Körbe mit den Langusten in die Container rauschen ließen. Nein, wir erinnern uns an den grausamen Hummer-Essay von David Foster Wallace, denken daran, dass der Lobster sich verzweifelt an den Laschen der Kartonpackung festhält, weil er weiß, dass das kochende Wasser ihn qualvoll verrecken lassen wird.
    Natürlich denken wir zu Recht an diese Dinge und wir wissen auch, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen unserem Wunsch, gut zu leben, und dem Umstand, dass wir damit eine Reihe von weltweiten Gleichgewichten aus der Balance bringen. Was wir darüber hinaus ahnen, ist, dass wir diesen Konflikt nie so richtig lösen können. Wir möchten ganz bestimmt nicht, dass die Erde unseretwegen untergeht.
    Das ist das eine. Andererseits ist es relativ wahrscheinlich, dass wir, bevor die Erde untergeht, unsererseits die Waffen strecken werden, und wenn wir auf dem Sterbebett Bilanz ziehen, wollen wir dann wirklich sagen: Ich habe alles dafür getan, dass der Hummer nicht so große Angst vorm kochenden Wasser haben muss, das Huhn im Alter von 26 Jahren eines natürlichen Todes gestorben und der Tabak ungeerntet auf der kolumbianischen Plantage eingetrocknet ist? Wollen wir wirklich stolz darauf sein, dass wir die Bierkneipen rauchfrei gehalten, den Alkoholpegel exakt eingehalten haben und niemals fremdgegangen sind? Möchten wir unseren Enkeln erzählen, dass wir, als wir knapp über 40 waren, unser Leben grundsätzlich downgeshiftet und unter der demütigend dämmrigen Energiesparlampe alles von Al Gore gelesen haben, auf dass es uns noch beschissener gehe?
    Nein, das möchten wir nicht.
    Stattdessen möchten wir uns erinnern, dass es eine Zeit gab, und sie ist noch nicht sehr lange her, da man viele Dinge tun konnte, ohne dass sie einem gleich um die Ohren geflogen sind. Zum Beispiel – man darf das Wort kaum aussprechen, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt – das Rauchen. Das Zigarettenrauchen galt schon vor 30 Jahren als gefährlich und man durfte auch nicht grundsätzlich mit Applaus rechnen, wenn man sich eine ansteckte. Aber man galt nicht gleich als Straftäter und wurde im Café noch nicht von hysterischen Mutterhänden aus der Welt gefuchtelt. Und dass es durchaus Menschen gibt, die täglich fünf, sechs Zigaretten rauchen und trotzdem nicht mit 60 sterben – dies zu behaupten, galt seinerzeit nicht als obszön.
    Es galt vielmehr als ausgemacht, dass das Leben grundsätzlich eher nicht leicht ist und sich jeder seinen Weg suchen darf, es erträglicher zu machen. Mag sein, dass Serge Gainsbourg das mit dem Rauchen und dem Trinken und all den anderen
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