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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen
Autoren: D Woodrell
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sagte Merab. »Siehst du die höchste der kleinen Weiden? Dort liegt er im Wasser, an einen Motorblock gefesselt.«
    Der See im Silberlicht, mit den kauernden Weiden und der matten Eisoberfläche, verwandelte sich augenblicklich in einen herzzerreißenden Ort. Rohrkolben und kleine knabbernde Fische im flachen Wasser, ein lebendiges Grab für Dad. Der Drang, sich in den Schnee zu knien, verging sofort wieder, und Ree ging am Ufer entlangzu der größten der kleinen Weiden. Sie rutschte auf dem Schnee aus, stand wieder auf, ging weiter, rutschte erneut aus. Die Schwestern folgten ihr um den Teich herum bis zu der Stelle am Ufer, die der Weide am nächsten war.
    »Ich gebe dir Licht«, sagte Merab. »Du brauchst die Axt, um das Eis aufzuschlagen.«
    »Und was dann?«
    »Er liegt nicht tief.«
    Ree machte einen Schritt aufs Eis. Es knirschte, brach aber nicht. Sie tat einen weiteren Schritt, dann kam sie wieder zurück, um die Axt zu holen. Sie stand auf dem Eis unter der Weide, holte aus und legte all ihre Gefühle in die Schläge, die sie dem Teich versetzte. Es klang wie ein Hämmern, mit einem matschigen Stöhnen als Antwort, das Eis splitterte und schwarzes Wasser spritzte hoch. Das Licht aus der Taschenlampe beschien die Stelle, wo vorher Eis gewesen war und nun freigelegtes Wasser hin und her schaukelte.
    »Er ist genau da, Kind. Fast unter deinen Füßen.«
    »Ich seh ihn nicht.«
    »Du musst nur reingreifen und ihn hochziehen, dann siehst du’s. Er treibt nicht mehr, und schwer wird er auch nicht sein.«
    Ree kam zurück, legte Großmutters Mantel ab und warf ihn Tilly zu. Dann ging sie auf die Knie und rutschte übers Eis zu der offenen Stelle. Sie steckte ihren Arm in den Teich, rührte mit der Hand im Wasser herum und schrie, schrie wegen der Kälte. Nach wenigen Sekundenkonnte sie ihre Hand schon nicht mehr spüren, also zog sie sie heraus und nahm die andere Hand.
    »Tiefer, nicht so zur Seite.«
    Ree spürte etwas, ein Stück Stoff, und zog daran. Das Licht erhellte die Stelle nur teilweise, aber sie erkannte das Hemd. Ein grün kariertes Flanellhemd, die Ärmel an den Schultern abgetrennt. Darunter ein langärmliges Unterhemd. Es fühlte sich an wie Schlamm oder Moos oder beides. Sie zog, bis sie ein Ohr sah, dann drehte sie den Kopf beiseite und übergab sich. Aber sie ließ nicht los.
    »Hier ist die Motorsäge.«
    »Was?«
    »Wie willst du sonst an die Hände kommen? Die werden ihn an den Händen identifizieren.«
    »Oh, nein! Scheiße, nein.«
    »Nimm die Säge, los, hier.«
    »Nein, nein.«
    Die stille Schwester hielt die Taschenlampe. Merab seufzte laut, kam dann mit der Motorsäge aufs Eis und kauerte sich neben Ree hin. »Denk nicht daran, dass es dein Daddy ist. Tu so, als wär es irgendein Kerl.«
    »Ja, schau nicht in sein Gesicht«, riet Tilly.
    »Verdammt«, fluchte Merab. »So wie du dich anstellst, sitzen wir noch die ganze Nacht hier.« Sie riss die Säge an und beugte sich vor. »Halt den Arm hoch, ich säge.«
    Die Säge spie Qualm und rasselte. Der Qualm zog angstvolle Wölkchen übers Eis, während das Rasseln die Nacht füllte. Stücke von Haut und Knochen trafen Ree ins Gesicht. Sie schloss die Augen und spürte, wie ihretwas gegen die Lider spritzte. Als die Kette sich durchgebissen hatte, entglitt Dads Leiche ihrem Griff, aber sie hatte seine Hand. Sie wirbelte herum und schleuderte sie ans Ufer.
    »Warum hast du losgelassen?« fragte Merab. »Du brauchst beide Hände, sonst behaupten die, er habe sich eine Hand abgeschnitten, um nicht in den Knast zu wandern. Den Trick kennen sie schon. Los, greif noch mal rein. Und pass auf die Haut auf. Wir brauchen seine Fingerabdrücke als Beweis.«
    Das Eis gab nach, als Ree die Hand ausstreckte, und sie brach ein. Sie spürte Dad an ihren Beinen, beugte sich ins Wasser hinab und zog ihn am Kopf hoch. Seine Haut fühlte sich an wie russische Eier. Ree fand die andere Hand und zog sie zur Kettensäge. Ihr Körper war weg, unterhalb des Halses spürte sie nichts mehr, aber ein Leuchten breitete sich in ihrem Kopf aus. Sie lag an einem fernen, friedlichen Strand, regenbogenfarbene Vögel sangen und Kokosnüsse fielen neben ihr in den warmen Sand. Qualm und Rasseln, Dads zweite Hand, die abgetrennt wurde, der Weg zurück zum Wagen ein Nebelschleier. Die Schwestern schälten die nassen Sachen von Rees Körper und steckten sie in Großmutters Mantel.

DADS HÄNDE BRACHTEN Kummer und Freude. Deputy Baskin wurde am nächsten Morgen gerufen, um die
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