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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen
Autoren: D Woodrell
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eilig mit dem Heiraten«, sagte sie.
    Unvermittelt trat Teardrop auf die Bremse und brachte den Pick-up mühsam auf der weißen Straße zum Stehen. Er starrte in den Rückspiegel und klopfte mit denDaumen aufs Lenkrad. Er trommelte regelrecht, sah im Spiegel noch die Bierreklame und sagte: »Ich glaub, mir gefällt die Art nicht, wie er vorhin was gesagt hat.«
    Er legte krachend den Rückwärtsgang ein, der Wagen wimmerte, als er Gas gab. Er versuchte, seine eigene Reifenspur zu halten, kurvte aber über die ganze Straßenbreite hin und her. Er war zu schnell, um auf den Parkplatz abzubiegen, also hielt er einfach mitten auf der Straße an, stieg aus und ließ die Tür offen. Er schnappte sich eine Axt von der Ladefläche und ging zu der Reihe von Fahrzeugen, die auf dem Parkplatz standen. Alle waren schneebedeckt, und Teardrop ging an zwei Pick-ups und einem Kombi vorbei, bis er zu einer großen Limousine kam. Er putzte den Schnee vom Seitenfenster und linste hindurch, war sich aber unsicher. Dann beugte er sich über die Motorhaube, schob den Schnee mit weiten Armbewegungen herunter, bis der vordere Teil des Wagens frei war. Teardrop trat zurück, besah sich den Kühlergrill mit seinen Verzierungen, dann hob er die Axt und schlug ein Loch in die Windschutzscheibe, durch das sofort Schnee ins Wageninnere fiel. Teardrop ging langsam zum Pick-up zurück und warf die Axt lärmend auf die Ladefläche. Dann setzte er sich hinters Lenkrad und meinte: »Frech. Irgendwie hatte sich das frech angehört.«
    Ree sah, wie die Tür der Bar aufging und ein, zwei, dann drei Männer hinaus in den Schnee traten und Teardrop hinterherschauten. Ree fürchtete schon, sie würden mit schwerer Jagdmunition oder so was auf den Pick-up schießen. Aber diese Männer gestikulierten nicht, sie riefenihnen nichts hinterher, was besser ungesagt geblieben wäre. Ree sah nach hinten und behielt sie im Auge, bis sie außer Sicht waren. Dann drehte sie sich um, schraubte die Flasche auf, nahm einen schnellen Schluck.
    »Können wir nach Hause? Es ist kalt hier draußen, Mann.«
    »Die Pillen von mir, die dir Victoria gegeben hat, mit denen hab ich mich vom Berg runtergeholt, wenn ich zu lange high war, so wie jetzt.«
    »Ich hab keine dabei.«
    »Ich kann nicht schlafen, wenn ich so drauf bin. Mit Whiskey geht’s auch, das dauert aber länger.«
    »Zu Hause sind noch ein paar.«
    Es hatte fast völlig aufgehört zu schneien, aber der Wind blieb streng. In zehn Minuten kamen ihnen drei Fahrzeuge entgegen. Ree entdeckte die gelben Lichter eines Schneepflugs, der die Hauptroute im Tal räumte. Teardrop verließ die Straße und nahm enge Waldwege, die Ree noch nie zuvor gesehen hatte, er fuhr kleine Hügel hinauf und glitt durch Kurven. Überall machten sie die ersten Spuren. Schließlich hielt Teardrop auf einer weißen Lichtung hinter zwei sich neigenden Felssäulen. Es handelte sich um einen aufgelassenen Familienfriedhof, der auf der Rückseite einer Farm lag. Schneebedeckte Grabsteine leuchteten im Scheinwerferlicht auf.
    »Jeder hat so seinen Lieblingsplatz«, meinte Teardrop.
    Die Grabsteine waren von der alten Sorte, die mit der Zeit graugrün wurden und bei Frost Risse bekamen. Sie zerfielen dann in scharfkantige Brocken, die die Jahrzehnteauf dem Boden verteilten. Die meisten waren umgefallen, nur ein paar wenige standen noch. Ree stieg aus dem Pick-up und folgte Teardrop zwischen den Gräbern hindurch. Die Zeit hatte noch nicht auf allen Steinen die Namen zerrieben, und auf so vielen von ihnen stand in großen Buchstaben der Name »Dolly«, dass Ree eine Gänsehaut bekam.
    »Wo zum Henker sind wir hier?«
    Teardrop änderte immer wieder die Richtung, stapfte durch den Schnee, erst in die eine Richtung, dann in die andere, und Ree folgte ihm, betrunken und mit offenen Stiefeln. Teardrop blieb stehen, hielt eine Hand ans Ohr und sagte: »Das hier ist … Ich sollte dir besser nicht sagen, wo wir sind.«
    »Was machen wir hier?«
    »Wir suchen nach Erdhaufen, die sich noch nicht gesetzt haben.« Er sah sich auf dem Friedhof um, der Atem kam ihm stoßweise aus dem Mund und flog in die Baumwipfel hinauf. Er kauerte neben einem Grabstein, hielt sich ein aufflammendes Streichholz an die Zigarette und blies den Rauch über den eingravierten Namen. Er klopfte auf den Stein, fuhr mit den Fingern über die verbliebenen Buchstaben und sagte: »Ein entlegener alter Ort. Deshalb ist er so beliebt.«
    »Willst du damit sagen …«
    »Ist schon
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