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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen
Autoren: D Woodrell
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vorgekommen, Mädchen.«
    Ree stolperte rückwärts, sah, wie seine Finger sanft die Buchstaben auf dem Grab nachzogen. Sie drehte sich um, wollte ihrem Drang folgen, wegzulaufen, bis zum Pick-upoder noch weiter, aber ihre offenen Stiefel rutschten ihr von den Füßen und flogen davon. Sie musste sie auf Kniestrümpfen im nassen Schnee suchen. Dann trug sie sie zum Pick-up, stieg ein und band die Schnürsenkel zu. Sie setzte sich aufrecht hin, setzte die Whiskeyflasche an und trank.
    Teardrop setzte sich wieder in den Pick-up und sagte: »Das ist nicht die richtige Nacht. Zu viel Schnee.«
    »Hm, überall.«
    Er fuhr vom Friedhof herunter, nahm denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Wegen der Eisklumpen und abgebrochenen Äste war die Fahrt beschwerlich. Aber der Himmel war jetzt klar. Ree sah zu den Sternen hinauf, die so hell leuchteten, dass sie sich fragte, was sie zu sagen hatten und ob sie dasselbe zu sagen hatten wie die Steine im Quellwasser.
    »Kannst du schieben, wenn wir feststecken?«
    »Wird keine große Hilfe sein.«
    »Aber du könntest doch fahren, wenn ich schiebe.«
    »Ich hatte noch nie ein Auto, Mann.«
    »Mir ist eh nicht nach Schieben zumute.«
    Sie kamen zur Hauptstraße, die durch das Tal führte, und fuhren dicht hinter einem Schneepflug her. Der Pflug warf mit hellem gelbem Licht um sich, und die Pflugschar kratzte brüllend über die Straße. Das Räumfahrzeug zog eine weiße wirbelnde Wolke hinter sich her, Teardrop schaltete die Scheibenwischer an und ließ sich zurückfallen. Andauernd fielen ihm die Augen zu, er riss sie auf, bis sie ihm wieder zufielen. Wenn das passierte, fuhr der Pick-upmitten auf der Straße. Der Schneepflug entfernte sich, und Teardrops Augen waren kurz davor, geschlossen zu bleiben, als kreisende Warnlichter von hinten über den Pick-up fielen. Teardrop sah in den Rückspiegel, hielt aber nicht an. Erst als die Sirene aufjaulte, brachte Teardrop den Pick-up zum Stehen, kurbelte das Fenster herunter und machte die Scheibenwischer aus.
    Ree drehte sich um und schaute zum Heckfenster hinaus. Scheinwerfer beleuchteten grell den Pick-up, und Ree hielt die Hände vor die Augen und blinzelte hindurch. Baskin mit seinem grünen Polizeimantel und dem Rangerhut, ganz nach Vorschrift. Er näherte sich dem Pick-up auf Teardrops Seite, blieb aber in ein paar Metern Entfernung stehen und sagte: »Machen Sie den Motor aus.«
    »Ich glaube nicht.«
    »Machen Sie den Motor aus und steigen Sie aus, aber so, dass ich Ihre Hände sehen kann.«
    Teardrop beobachtete Baskin im Seitenspiegel. Seine rechte Hand bewegte sich auf das Gewehr zu. »Nein«, sagte er, »heute Abend mache ich nichts von dem, was Sie sagen.«
    Ree sah, wie sich seine Hand um das Gewehr legte, und hatte plötzlich das Gefühl, als würde sie im Inneren furchtbar schwitzen, und dieses schwitzende Innere stieg ihr in die Kehle. Sie sah, wie Baskin eine Hand an das Halfter sinken ließ und näher an den Pick-up herantrat. Dann schaute sie auf die Schrotflinte, die zwischen ihr und ihrem Onkel lag, und fing an zu zittern.
    Im grellen Licht und den herumwirbelnden Farben war Baskin fast nur ein Schatten mit einem breitkrempigen Hut. »Steig aus, Teardrop. Steig sofort aus!«
    »Wem hast du das mit Jessup erzählt, hm? Du Arschloch. Wem?«
    Für ein paar Sekunden blieb Baskin still stehen, er sank ein wenig in sich zusammen, dann holte er tief Luft und zog seine Pistole aus dem Halfter.
    Ree streckte die Finger nach der Schrotflinte aus. So schnell konnte etwas geschehen, das einen für immer verfolgt.
    »Ich habe dir … Das ist ein Befehl, verdammt. Ich habe dir einen Befehl erteilt.«
    Teardrop spuckte ein versengtes Lachen aus, dann zog er das Gewehr auf den Schoß und krümmte den Abzugsfinger. Er sah Baskin über den Seitenspiegel in die Augen. Er sah in den Spiegel, tippte wiederholt mit einem Fingernagel an den Gewehrschaft, tick, tick, tick, und sagte dann: »Ist unsere Zeit gekommen?«
    Dann nahm Teardrop den Fuß von der Bremse, rollte langsam auf die geräumte Straße und fuhr davon. Ree beobachtete Baskin. Er stand allein auf der Straße, seine Pistolenhand baumelte schlaff an der Seite, dann kniete er sich in den dünnen Schnee, senkte den Kopf, und sein Hut fiel herunter, doch er bekam ihn zu fassen, bevor der Wind ihn davonwehte.

DIE JUNGS KANNTEN MOM nicht aus der Zeit, als sie noch alle Murmeln beisammen hatte und mit funkelnden dunklen Augen und einem schnellen Lächeln ganz sie selbst war.
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