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Winternacht

Winternacht

Titel: Winternacht
Autoren: Yasmine Galenorn
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vermuten lassen, dass er bereits hunderteins war und schon vieles durchgemacht hatte. Und als er nun leicht meinen Arm berührte, wusste ich, dass er mich wirklich verstehen konnte.
    Ich suchte nach Worten, aber es gab nichts zu sagen. Ich befand mich in einem düsteren Schatten und wusste nicht, wie ich wieder heraustreten sollte. Schließlich sah ich mich im Wohnzimmer um. Hoffnungslos. Doch ein Bild von Heather und Rhiannon an der Wand löste meine Zunge.
    »Erinnerungen an die Familie. Wenn du Bilder wie das dort finden kannst … für Rhiannon …«
    Er nickte, nahm das Bild von der Wand und begann, das Sideboard an der gegenüberliegenden Wand zu durchstöbern. Nach einer Weile ging er ins benachbarte Zimmer.
    Ich wandte mich wieder dem Schreibtisch zu und zerrte eine Schublade auf, die unberührt geblieben war. Und dort fand ich das erste Anzeichen, das auf Hoffnung hindeutete. In der Schublade lag Heathers Tagebuch mit ihren magischen Notizen und der Karte, die das Haus der Schleier auf einer Kreuzung mehrerer mächtiger Leylinien zeigte.
    Ich nahm das Buch in die Hand. Es fühlte sich kühl an, leicht feucht, war aber unversehrt. Ich schob es in meinen Rucksack und durchsuchte den Rest der Schublade. Das Kontobuch und ein Umschlag mit Geld – kein Wunder, dass die Schattenjäger es hiergelassen hatten. Sie hatten für Geld keine Verwendung, wir aber durchaus.
    Nach einer flüchtigen Durchsicht stopfte ich alles in den Rucksack und betrachtete das Chaos aus den ausgekippten Schubladen um den Schreibtisch herum. Nicht viel war intakt geblieben, aber da – ein Schlüsselbund. Ohne zu wissen, wozu die Schlüssel passten, fügte ich sie den anderen Sachen im Rucksack hinzu.
    Lannan war vorübergehend verschwunden, kam nun aber mit einer großen Tasche voller Plastiktütchen und Schraubgläser zurück. »Ich habe eure Kräutervorräte gefunden. Ich dachte, sie könnten uns nützen.«
    Ich nickte und nahm wahllos ein paar Dinge heraus. Tatsächlich war einiges dabei, das ich verwenden konnte. Anderes enthielt Heilkräuter, aus denen Leo Salben und Pasten gemacht hatte. Leo. »Verflucht.«
    »Was ist los?« Lannan war augenblicklich in Habachtstellung und warf einen raschen Blick zur Tür. »Hast du etwas gespürt?«
    »Nein. Ich musste nur gerade an Leo denken. Und wie er uns betrogen hat.« Ich presste meine Lippen aufeinander und blickte in Lannans Augen. Normalerweise ein Fehler – man sollte einen Vampir niemals direkt ansehen –, aber im Augenblick kümmerte es mich nicht.
    Lannans Augen waren wie ein Abgrund, kalt, gefühllos. »Leo hat seine Wahl getroffen. Ich hatte euch gesagt, dass man Geoffrey nicht trauen darf.« Er warf sich die Tasche über die Schulter. »Du kannst es dem Jungen kaum verübeln. Er hat sich für etwas entschieden, was viele wählen würden: sich lieber mit den Unsterblichen zu verbünden, als durch Gebrechlichkeit unterzugehen.«
    »Ich soll es ihm nicht verübeln? Für Rhiannon ist eine Welt untergegangen! Die beiden waren verlobt, Himmel noch mal, und er hat sich gegen sie gewandt. Ganz abgesehen davon, dass er mich niedergeschlagen hat. Und Geoffrey …« Ich schauderte. »Geoffrey wollte mich verwandeln – genau wie er Myst verwandelt hat. Er wollte mich als Köder benutzen, um Myst zu überlisten.«
    Vor Jahrtausenden hatte Geoffrey, der Regent der nordwestlichen Vampirnation und einer der ältesten Blutfürsten, versucht, die Feen des Dunklen Hofs zu verwandeln. Und so war Myst geboren worden, einst seine Geliebte, nun jedoch ein Wesen, das nicht mehr Fee, aber auch kein Vampir war, ein schrecklicher Bastard, in dem sich die Kräfte der Dunkelfeen und der Vampire vereinten. Aber noch schlimmer war, dass sie sich fortpflanzen und so zur Mutter einer ganz neuen Rasse und die Königin des Indigo-Hofs werden konnte.
    Lannan machte eine abwehrende Geste. »Vergiss Geoffrey.« Seine Stimme wand sich verführerisch um mich, als er sich an meinen Rücken schmiegte und eine Hand an meine Taille legte. »Ich würde dich auch gern verwandeln, aber nicht um dich gegen Myst einzusetzen. Ich hätte dich gern als Spielgefährtin. Aber bleib so widerspenstig, Cicely Waters, denn gerade das macht die Sache so reizvoll. Ich stehe auf ein bisschen Keilerei unter meinen Spielzeugen.«
    Ich hielt den Atem an und wappnete mich, als seine Lippen meine Ohrmuschel kitzelten und seine Fangzähne meinem Hals gefährlich nahe kamen. »Such dir jemand anderen zum Spielen.« Ich schob seine Hand von
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