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Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Titel: Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
Autoren: Rütten & Loening Verlag <Potsdam>
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1. Kapitel

    There she weaves by night and day
    A magic web with colours gay.
    She has heard a whisper say,
    A curse is on her if she stay …
    (Alfred Lord Tennyson, The Lady of Shalott)
    Wie ein blitzender kleiner Fisch tauchte die silberne Nadel in die Garnwellen.
    In atemloser Flinkheit fasste sie mit ihrem zierlichen Haken nach dem Faden und nahm ihn in Besitz. Sie zögerte ganz kurz, dann spannte sie ihn, bereitete ihn vor auf das Eintauchen. Der Faden ließ sich bereitwillig von ihr über den mageren Jungmädchenfinger ziehen und folgte ihr durch das Maschenloch, um dahinter einen Luftsprung zu vollziehen, wie es schon unzählige Male geschehen war. Die Häkelnadel führte ihn, sie lockte und verführte ihn, und eine Masche später lag er gefangen in den schäumenden Wellen der blütenweißen Häkelarbeit … Die Nadel lockte den Faden. Immer wieder. War die Wellenreihe zu Ende, wendete die Nadel und tauchte zurück. Immer wieder.
    Penelope seufzte heimlich. Sie ließ ihren Blick von rechts nach links huschen und legte den Spitzenkragen, als niemand hinschaute, vor sich auf den Tisch, in die gefährliche Nähe der Kerze, die alles verderben konnte, weil sie vonschlechter Qualität war und rußte und umkippen konnte. Immer zwei Spitzenhäklerinnen teilten sich eine Kerze, deren Lichtkegel durch den wassergefüllten Glaskolben davor etwas vergrößert wurde. Gestern hatte die dicke Prudy durch eine hastige Bewegung den Glaskolben umgerissen und den Tisch unter Wasser gesetzt. Madam Harcottes Geschrei hing immer noch in den Vorhängen der Werkstatt und Prudys Geschrei ebenfalls, nach den Schlägen, die Madam Harcotte mit dem Rohrstock auf ihren Kopf und ihren Rücken verteilt hatte …
    Penelope fror. Der Heißwasserbottich stand unter Gwyneths Stuhl. Es gab nur einen, den sie sich teilen mussten. Jeden Tag bekam ein anderes Mädchen ihn unter den Rock geschoben, um sich aufzuwärmen. Penelope war am Morgen an der Reihe gewesen. Sie genoss die warmen Beine, aber sie wusste auch, wie schnell man sich an dem heißen Metallbottich verbrühen konnte. Die Kälte war längst zurückgekehrt. Penelope drückte ihre Hände verstohlen zwischen die Rockfalten und rieb sie aneinander, bis die Steifigkeit aus den Gelenken wich. Mit steifen Fingern häkelte man unregelmäßig, was den Preis der Spitze minderte.
    Irgendwelche Fehler in der Ware sah Madam Harcotte überhaupt nicht gerne. Sie trug den hugenottischen Namen ihres verblichenen Großvaters mit Stolz und runzelte indigniert die Stirn darüber, wie diese Briten den Namen verhunzten, und selbstverständlich kannte sich niemand mit Spitze und Seide so gut aus wie sie, eine echte Lyoneserin. Dass sie kein Wort Französisch sprach und nicht einmal einen französischen Akzent hatte, war möglicherweise nur Penelope aufgefallen, die von Serge, dem jakobinischen Schneider an der Ecke, ein paar Sätze aufgeschnappt hatte. Aber Madam Harcottes Geschmack für Leinen und Spitzewar gewiss französisch. Das fanden jedenfalls ihre Kunden.
    Madam Harcotte schwirrte mit ihrer Petroleumlampe wie ein aufgeregter Falter durch den Raum, sammelte heruntergefallene Garnrollen auf, schimpfte über Unordnung und trieb die Mädchen zur Eile an. Wo es ihr nötig erschien, tat sie das auch mit Kopfnüssen, und dann wippten die Mädchen wie Fadenpuppen vor und zurück und verkniffen sich jeden Laut, weil der nur eine noch schmerzhaftere Kopfnuss nach sich ziehen würde.
    »Faule Gören seid ihr«, schimpfte Madam Harcotte, »nie zuvor hatte ich solch faules Volk in meiner Werkstatt sitzen, ihr ruiniert mich, ihr verdammten Gören, nie werde ich diesen Mist verkaufen können, den ihr hier herstellt, nie.«
    Penelope ärgerte sich über solchen Unfug. Madam Harcotte verkaufte die filigranen Spitzenkrägen, die von den sechs Mädchen in ihrer Obhut angefertigt wurden, an Damen des Adels und stellte überall ihren Stolz darüber zur Schau, dass man die Qualität in der ganzen Stadt lobte. Es hatte eine Weile gedauert, bis Penelope klargeworden war, dass das Geschimpfe offenbar zu einer Häkelwerkstatt gehörte. Andere Aufseherinnen schimpften ebenfalls, wie ihr zu Ohren gekommen war, und benutzten den Rohrstock noch ausgiebiger. Es gab in Londons Werkstätten unzählige Spitzenhäklerinnen, und keine von ihnen würde es wagen, sich über ihr Los zu beklagen und darüber die Arbeit zu verlieren. Lag man einmal in der Gosse, war es schwer, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.
    Bevor Madam Harcotte an
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