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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord
Autoren: Camilla Ceder
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sogar, sie war eine von unseren ersten Zeuginnen.«
    Sie lag in seltsam verdrehter Stellung auf dem Boden, einen Arm unter dem Körper. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre ihr Genick gebrochen. Ihm wurde eiskalt, doch dann entdeckte er, dass ihr Kopf in dieser Position gehalten wurde, weil sie auf ihren Haaren lag. Auf der Schwelle und unter ihrem Kopf war Blut.
    Wahrscheinlich war sie niedergeschlagen worden, als sie den Raum betreten hatte, und war dann noch einen halben Meter weit hineingeschleift worden, damit man die Tür hinter ihr schließen konnte. Niemand hat sich die Mühe gemacht, sie bequemer hinzulegen, dachte er hilflos. Die Sehnen an ihrem Hals waren überstreckt, was der ganzen Szenerie etwas Gestelltes verlieh. Diese verletzliche Position quälte ihn am meisten – wie lange hatte sie wohl mit so entblößter Kehle in diesem Irrenhaus gelegen?
    Er kniete sich neben sie und legte ihr Kopf und Arm zurecht. Als er sie berührte, zuckte ihre Hand.
    Bärneflod hatte offensichtlich den verantwortlichen Kommissar der Kriminalpolizei Borås erreicht und gab gerade ein wieherndes und reichlich unpassendes Gelächter von sich. Tells Frustration konzentrierte sich zu einer Wut auf den Kollegen, der sich anscheinend damit begnügt hatte, zu überprüfen, ob Seja noch lebte, bevor er sich seinem Plausch mit Björkman widmete.
    In diesem Moment stieß Bärneflod einen Pfiff aus. »Yes!«
    Dem folgenden Gespräch konnte Tell entnehmen, dass Bärneflod gerade von einem Auto erfahren hatte, einem VW-Bus, der auf Caroline Selanders Namen zugelassen war.
    »Sprich ein bisschen leiser, verdammt noch mal«, zischte Tell ihm zu. »Und gib sofort eine Fahndungsmeldung raus.«
    »Danke, ich beherrsche meine Arbeit.«
    Bärneflod war noch zu aufgekratzt, um sich von Tells Stimmung herunterziehen zu lassen. »Jetzt haben wir diese Sau!«
    Sejas Lider zuckten, als Tell ihren Kopf vorsichtig auf seinen Schoß bettete. Das Blut hinterließ Flecken auf seiner Hose, das meiste war allerdings um die Wunde herum schon zu einer klebrigen Masse geronnen.
    »Sie kommen gleich«, teilte Bärneflod mit und klappte sein Handy schwungvoll zu. »Hier, hast du dir das eigentlich schon angeschaut?«
    Er deutete mit einer ausholenden Geste auf den begehbaren Kleiderschrank, der offensichtlich zu anderen Zwecken umfunktioniert worden war.
    Erst jetzt nahm Tell das sorgfältig eingerichtete Heiligtum für My Granith wahr. Die Wände waren mit Spruchbändern politischen Inhalts und Plakaten von Bands wie The Sisters of Mercy und The Cure beklebt. Eine der Wände war mit Gedichten und herausgerissenen Tagebuchseiten tapeziert. Schallplatten lagen auf einer Bank gestapelt, zusammen mit Jugendbüchern, Wochen- und Musikzeitschriften. Es wimmelte nur so von Fotos von My: als Kind, nackt neben einem Plastikplanschbecken, als Zehnjährige in Shorts, als Vierzehnjährige mit hennagefärbten Haaren.
    Auf einem Beistelltisch mit einem lila Tischtuch stand eine Vase mit einem Strauß getrockneter Rosen. Zwischen den Blumen steckte eine Karte: Herzlichen Glückwunsch zum achtzehnten Geburtstag, My. Darüber hing ein vergrößertes Schwarzweißfoto in einem Goldrahmen. Tell ging davon aus, dass dies eines der letzten Fotos von My war: Sie stand auf einer Steintreppe und lachte unbefangen in die Kamera. Aus der mürrischen Vierzehnjährigen, deren Bild gleich daneben hing, war eine junge Frau geworden.
    Bärneflod trat neben ihn. »Gruselig, oder? Die reinste Kultstätte.«
    Als die Sanitäter an den Türrahmen klopften und eintraten, schlug Seja die Augen auf.
    »Verdammt«, sagte sie, als ihr Blick auf Tell fiel.

64
    Ohne seinem verblüfften Kollegen viel zu erklären, folgte Tell dem Krankenwagen in die Notaufnahme.
    Mit Hilfe seiner Dienstmarke organisierte Tell im Eiltempo einen Arzt, der sich Sejas Kopfwunde ansah. Sie musste genäht werden und würde wahrscheinlich zu einer Prachtbeule anschwellen. Außerdem hatte Seja eine schwere Gehirnerschütterung.
    Den Gegenstand, mit dem ihr die Verletzung zugefügt worden war, hatte man nirgendwo in der Wohnung gefunden. Der Arzt schlug etwas Klobiges, Stumpfes vor – vielleicht einen Baseballschläger.
    Seja konnte sich nicht erinnern und wollte trotz Tells Drängen nicht über die Ereignisse in Solveig Graniths Wohnung sprechen. »Ich habe die Silhouette einer Person gesehen und dann spürte ich nur noch, wie mir der Schädel explodierte. Mehr kann ich nicht sagen. Ich bin froh, dass du mit ins
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