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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord
Autoren: Camilla Ceder
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noch von seiner Zeit als Streifenpolizist. Ebenso die seltsame Aufmerksamkeit selbst für kleinste Details: Tell sah sofort, dass der Handgriff am Müllschlucker schief saß und die Tür nur angelehnt war. Der säuerliche Geruch von gärenden Abfällen hing auf dem Treppenabsatz.
    In der Innentasche tastete er nach seiner Brieftasche. Das Gewicht seiner Dienstwaffe gab ihm wie immer ein gewisses Sicherheitsgefühl. Er klingelte, hielt seine Dienstmarke vor den Türspion und wartete.
    Aus der Wohnung war kein Laut zu hören. Er drehte sich um und sah Bärneflod an, der die Hand ebenfalls auf seine Dienstwaffe gelegt hatte und nur kurz nickte.
    Tell drückte die Klinke herunter und die Tür glitt lautlos auf.
    Auf der Fahrt waren sie den Grundriss der Wohnung noch einmal durchgegangen: der Schlauch des Korridors, der ins Bad mündete, die Küche ganz links hinten, ans Wohnzimmer grenzend. Der Geruch in der Wohnung hatte sich nicht verändert: verräucherte, sauerstoffarme Luft mit einem Hauch von verdorbenem Obst.
    Sie fanden Solveig Granith dort, wie sie auch gesessen hatte, als sie die Wohnung beim letzten Mal verlassen hatten. Ihre Hände lagen mit nach oben gewandten Handflächen auf den knotigen Knien, was ihr das Aussehen eines unterwürfigen Hündchens verlieh. Oder das eines resignierten Menschen, der alles akzeptiert, was ihm widerfährt.
    Die Scherben der zerbrochenen Porzellantaube lagen immer noch auf einem kleinen Häufchen auf dem Boden. Tell ließ die Waffe sinken und machte eine Geste nach hinten, woraufhin Bärneflod die Wohnung nach Selander zu durchsuchen begann. Im Grunde war ihnen aber schon klar, dass sie nicht mehr hier war.
    Tell ging in die Hocke. »Wo ist Caroline Selander?«
    Frau Granith verriet mit keiner Miene, dass sie ihn bemerkt hatte.
    »Wir werden sie finden, Solveig. Ohne Ihre Hilfe wird es nur ein bisschen länger dauern. Und wenn Sie sie schützen, schaden Sie sich nur selbst.«
    Er wagte sich etwas näher an sie heran. Ohne aufzustehen, sammelte er die Scherben der Taube zusammen und legte sie leise klirrend auf den Wohnzimmertisch. Ihre Augen verengten sich, und die rot gefleckten Hände zogen sich zusammen, als wollte sie die kaputte Nippesfigur beschützen.
    »Sie sollten sie nicht schützen, Solveig.«
    Tell rutschte so nahe an sie heran, dass er nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihre Schienbeine zu berühren. »Das wird Ihnen nicht gelingen. Außerdem verdient sie es nicht. Sie hat Sie doch allein hier zurückgelassen. Sie hat überhaupt nicht daran gedacht, Sie mitzunehmen. Warum sollten Sie also alles für sie riskieren?«
    Eine Weile hörte man nur das Geräusch von Türen, die geöffnet und wieder geschlossen wurden.
    Sie hat nicht mal geblinzelt. Unglaublich.
    Auf einmal erkannte Tell ihren Sohn in ihr. Wie sein Kollege vorher schon bemerkt hatte, besaßen beide diese Fähigkeit, die Wirklichkeit abzuschalten, wenn sie ihnen unerträglich wurde.
    »Wohin ist sie gegangen, Solveig?«, wiederholte er. »Sie haben doch niemand getötet. Das waren doch nicht Sie. Aber solange wir Caroline Selander nicht verhören können, sind Sie die Einzige, die ein Motiv hat und kein Alibi. Also sprechen Sie endlich.«
    Während er den letzten Satz sagte, hörte er mit halbem Ohr den zunehmenden Lärm in der Wohnung und schließlich einen überraschten Ausruf von Bärneflod.
    Wenige Sekunden später stand sein Kollege im Durchgang. Das Gewicht seiner Waffe zog seinen rechten Arm nach unten. »Chef, das musst du dir mal angucken«, sagte er nur.
    Tell ging an ihm vorbei. Das grässliche Gefühl im Magen steigerte sich, und auf einmal wurde ihm klar, warum sein Herz so rekordverdächtig schnell schlug.
    Seja und ihre irrationalen Schuldgefühle und ihre verdammten journalistischen Ambitionen. Als sie am Polizeipräsidium auf ihn wartete, hatte sie ihm natürlich etwas berichten wollen, was mit Caroline Selander zu tun hatte. Sie hatte etwas herausgefunden, aber er war zu müde und auch zu stolz gewesen, um ihr Gehör zu schenken. Damit hatte er sie hierher getrieben, in dieses dunkle Drecksloch mit diesen zwei psychotischen ...
    Bärneflod presste sich das Handy ans Ohr und zeigte nur stumm auf den kleineren Raum, aus dem er gerade gekommen war.
    »... eine Frau um die Dreißig«, hörte er Bärneflods sachliche Stimme. »Nein, nein, sie lebt. Aber wie es aussieht, hat sie einen ordentlichen Schlag auf den Kopf bekommen ... Ja, genau, das hat auch mit dem Fall zu tun. Ich glaube
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