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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Autoren: Madeleine K. Albright
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geistlichen. Der um 1370 geborene Hus begann seine Laufbahn ganz bescheiden als
Experte für Rechtschreibung. Der kleine, untersetzte Mann entwickelte sich zu einem beliebten Prediger und wurde im Jahr 1409 zum Rektor der Karls-Universität ernannt. Der tschechische Wahlspruch »Die Wahrheit wird siegen« geht auf Hus’ Weigerung zurück, die Autorität der Kirche bedingungslos zu akzeptieren. Er bestand darauf, statt auf Latein in der Landessprache zu predigen, damit die Worte und die Botschaft der Evangelien den Menschen näher gebracht wurden. Er verfocht eine ganze Reihe von Lehren, welche die protestantische Reform ankündigten, darunter die Idee, dass Jesus, nicht der Papst das wahre Oberhaupt der Kirche sei; dass Hostie und Wein bei der Eucharistie lediglich symbolisch seien und dass die Aufforderung an die Sünder, sich ihr Heil zu erkaufen, keine geistliche Grundlage habe. Zu den liturgischen Fragen kamen wirtschaftliche hinzu: Der Kirche gehörte die Hälfte das Ackerlands in Böhmen. Laut Hus war dieser Reichtum ein Geschenk des Satans. Wegen dieser Lehren geriet er in Konflikt mit dem Erzbischof von Prag, der Hus der Ketzerei anklagte.
    Bild 27
    Krone des heiligen Wenzel
    Auf dem Konstanzer Konzil von 1415, wo sich die katholischen Fürsten versammelten, stand das Schicksal von Jan Hus auf der Agenda. Obwohl man ihm sicheres Geleit zugesagt hatte, wurde der aufmüpfige Rektor in einem Kerker unmittelbar neben einer Kloake in Ketten gelegt. Als seine Widersacher ihn zur Rede stellten, weigerte er sich, seine Lehren zu widerrufen. Die Gesandten der Kirche verurteilten ihn daraufhin. Dem Gefangenen wurde seine Amtstracht abgenommen und der Kopf kahl geschoren. Dann setzte man ihm eine Papierkrone mit drei Teufelsbildern auf und verbrannte ihn auf dem Scheiterhaufen. Seine Henker waren eifrig darauf bedacht, nicht den kleinsten Rest von ihm übrig zu lassen, jeder Teil seines Körpers und sämtliche seiner Kleidungsstücke wurden den Flammen übergeben. Dieser Versuch, jede Erinnerung auszulöschen, hatte jedoch genau den gegenteiligen Effekt.
    Wenige Wochen nach dem Tod des Märtyrers stellte die Bewegung der Hussiten die religiöse und wirtschaftliche Ordnung in Prag auf den Kopf. Bekannte Priester wurden von der Kanzel geholt und durch Vertreter der neuen Lehre ersetzt. Hussitische Bauern wollten niedrigere Pachtzahlungen, Adlige hingegen, die mit den Gütern ihrer katholischen Nachbarn liebäugelten, wollten sich »das Geschenk Satans« selbst aneignen. Unterdessen versuchten die etablierte Kirche und ihre Schirmherren verzweifelt, ihre Privilegien zu schützen. Gut fünf Jahre lang schwelte der Konflikt zwischen beiden Seiten vor sich hin. Im Juli 1420 brach er richtig aus, als hussitische Rebellen dem katholischen Heer, welches das Heilige Römische Reich aufgestellt hatte, eine vernichtende Niederlage beibrachten.
    Der Rebellenführer Jan Žižka war ein grausamer und gewitzter Krieger, der in seiner Militärlaufbahn schon früh das rechte Auge verloren hatte, war aber im Alter von 60 Jahren immer noch ein brillanter Stratege. Bei diesem Feldzug formte er aus einem hoffnungslos unterlegenen Haufen aus Bauern und Landarbeitern eine beeindruckende Streitmacht, die aus Ackergeräten Waffen machte, Karren zu mobilen Festungen umwandelte und über die schwer
bewaffnete Reiterei triumphierte. Militärische Siege, insbesondere wenn sie aus einer aussichtslosen Lage errungen werden, bieten eine solide Grundlage für die nationale Legendenbildung, und Žižka hat ungeachtet seines späteren Todes infolge einer Blutvergiftung eine lange Karriere als tschechischer Nationalheld hinter sich. Er war der Fahnenträger, der sich gegen auswärtige Feinde zur Wehr setzte und siegte, ein Führer, der das Schwert der Ergebung oder dem Märtyrertum vorzog. b
    Bild 26
    Der Märtyrertod von Jan Hus
    Žižkas Aufstand gab nicht zuletzt die Schlachtreihen vor, die Europa in den folgenden gut 200 Jahren keine Ruhe lassen sollten. Mit seinem Heldenmut gelang es dem tschechischen Adel, den
Katholiken riesige Ländereien abzunehmen, zugleich förderte er die Entwicklung der Landessprache und eine Volkskultur, die für ihren Eifer beim Kampf gegen den Analphabetismus bekannt war. »Dieses verruchte Volk«, räumte selbst Papst Pius II. im 15. Jahrhundert ein, »hat eine hervorragende Eigenschaft: es lernt eifrig. Selbst ihre Frauen kennen die Schrift besser als italienische Bischöfe.« 4
    In den folgenden Jahren ließ die
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