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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Autoren: Madeleine K. Albright
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fischreiche Gewässer.« 3
    Die Tochter eines Nachfahren von Tschech, die Seherin Libuše, wird in der seltsamen Sprache der alten Chronisten als »die Zierde und der Ruhm des weiblichen Geschlechtes« beschrieben, »welche auch Geschäfte der Männer mit Überlegung besorgte«. Ihr haben wir die Gründung einer Stadt, Prags, zu verdanken, deren Ruhm »bis zu den Sternen reicht«. Die Geschichte mag fantastisch klingen, aber die Stadt und ihr Ruhm waren keineswegs erfunden. Gegen Ende des zehnten Jahrhunderts hatten die Přemysliden, eine einheimische Sippe, deren Dynastie die Nation gründete, die Kontrolle über die tschechischen Ländereien gefestigt. Unter ihrer Herrschaft wurden große Kathedralen, Klöster und Synagogen gebaut, das Burgviertel wurde befestigt, und der Handel blühte an der Moldau.
    Zu den ersten Herrschern der Nation zählte Václav (auf Deutsch Wenzel oder Wenzeslas), ein frommer Christ, der wegen seiner Güte gegenüber den Armen den Zorn des heidnischen Adels auf sich zog. Auf der Suche nach Verbündeten schloss Wenzel mit den germanischen Sachsen Frieden und zahlte als Gegenleistung für deren Schutz einen jährlichen Tribut in Silber und Ochsen. Der König wurde von seinem Volk geliebt, doch sein heimtückischer Bruder Boleslav war auf ihn eifersüchtig. Boleslavs Helfershelfer ermordeten den jungen Monarchen auf dem Weg zur Messe. Jede Nation braucht Märtyrer, und der heilige Wenzel war Böhmens erster.
    Die tschechischen Ländereien blühten unter den Přemysliden auf, und Prag entwickelte sich zu einem Musterbeispiel der Vielfalt: Slawen, Germanen, Juden, Italiener, später auch Roma lebten in den engen Häusern der Stadt und feilschten jeden Tag um Felle, Schals, Sättel, Schilde und andere Waren, die in kleinen Läden an den Geschäftsstraßen zum Verkauf angeboten wurden.
    Gegen Ende des 13. Jahrhunderts dehnte das Königreich für kurze Zeit seine Herrschaft nach Süden in die Küstenregion der
Adria aus – zumindest so lange, dass Shakespeare eine Szene seines Wintermärchens an der sonst kaum vorstellbaren »böhmischen Küste« spielen ließ.
    Bild 25
    König Wenzel
    Zu den wenigen mittelalterlichen Herrschern, die ein dauerhaftes Vermächtnis hinterließen, zählte Karl IV. (1316–1378), der erste böhmische König, der auch als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches regierte. Der Monarch, der seiner Zeit weit voraus war, verschliss mehrere Frauen: eine Französin, danach drei Deutsche. Die vierte Frau, Elisabeth von Pommern, unterhielt ihre Gäste, indem sie Eisenketten in Stücke riss und mit bloßen Händen Hufeisen verbog. Es gab keine fünfte Frau.
    Zu den vielen Höhepunkten der Herrschaft Karls zählte die Gründung der Universität in Prag, die Studenten aus so fernen Regionen wie England, Skandinavien und dem Balkan anlockte. Damals schrieb man das Jahr 1348, der Buchdruck war also längst nicht erfunden, und die wissenschaftliche Forschung war der strengen kirchlichen Kontrolle unterworfen. Der König ordnete auch den Bau einer Steinbrücke mit 16 Bögen über die Moldau an. Seine Baumeister rieten, dem Mörtel eine besondere Zutat beizumischen, nämlich Eier, damit die Brücke stabiler war. a Die Hennen in Prag waren damit überfordert, den Bedarf an Eiern zu decken, folglich wurde per königlichem Dekret angeordnet, dass aus dem ganzen Land Wagenladungen dieser Zutat herangekarrt wurden. Die königlichen Baumeister waren verwundert, als die Wagen aus einer Stadt im Norden mit einer beeindruckenden Menge an Eiern vorfuhren – allesamt hartgekocht.
    Karl war mit Blick auf seinen persönlichen Geschmack zwar Kosmopolit, förderte aber eifersüchtig die nationalen Mythen Böhmens. Er bestätigte die Autonomie der Region und erklärte Tschechisch (neben Deutsch und Latein) zur Amtssprache im Kaiserreich. Zu Ehren des heiligen Wenzels gab er eine Krone aus reinem Gold in Auftrag, verziert mit Edelsteinen und mit einem Kreuz auf der Spitze und einer Kamee aus Saphir, die nach der Legende einen Dorn von der Krone Christi enthielt. Heutzutage sind das königliche Diadem und andere Kronjuwelen in einem eisernen Tresor hinter einer Tür mit sieben Schlössern in einer Kammer des alle übrigen Prager Kirchen überragenden Veitsdoms eingeschlossen. Nach der Überlieferung wird jeden, der sich zu Unrecht die Krone aufsetzt, binnen einem Jahr der Tod ereilen.
     
    D er Märtyrer Wenzel war die politische Ikone der böhmischen Nation; ein zweiter Märtyrer, Jan Hus, wurde zur
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