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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Autoren: Madeleine K. Albright
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religiöse Rivalität nach, und der hussitische (oder protestantische) Adel akzeptierte die habsburgische Herrschaft, die ihren Sitz in Wien hatte und von deutschsprachigen Katholiken angeführt wurde. Dieses Arrangement beruhte auf der Übereinkunft, dass ihre religiösen und Besitzrechte respektiert wurden. Eine Zeitlang war alles in Ordnung, aber im Jahr 1618 legten protestantische Wortführer der Habsburgischen Krone eine Liste mit Beschwerden vor und forderten eine größere Autonomie. Die Forderung wurde brüsk abgewiesen. Wutentbrannt marschierten die Protestanten zur Burg, wo sie am 23. Mai die Repräsentanten des Königs zur Rede stellten. Das Gespräch verlief nicht zu ihrer Zufriedenheit, und um ihrem Zorn Luft zu machen, warfen die Eindringlinge zwei königliche Räte und einen Schreiber kurzerhand aus dem Fenster – mehrere Stockwerke hinab. Die Beamten überlebten den sogenannten Fenstersturz, ein Wunder, das die Katholiken einem göttlichen Eingreifen zuschrieben, die Protestanten hingegen dem Umstand, dass die Opfer auf einem Misthaufen landeten.
    Fast zwei Jahrhunderte lang hatten böhmische Adlige verschiedener Konfessionen friedlich und einträglich zusammengelebt, nunmehr ließen sie es zu, dass ihre Verärgerung in Wut und Gewalt umschlug. Die Schlacht am Weißen Berge, die an einem nebligen Vormittag am 8. November 1620 ausgetragen wurde, blieb den Tschechen als ein Tag der nationalen Schande in Erinnerung. Dabei unterschieden sich die zwei Seiten, die hier aufeinanderprallten, nicht durch ihre Abstammung, sondern durch ihre Konfession. Ferdinand, der frisch gekrönte habsburgische Kaiser, hatte eine katholische Koalition aus Spanien, Italien, Bayern und Polen aufgestellt. Dem gegnerischen Bündnis gehörten protestantische Sympathisanten aus ganz Europa an, die Führung hatte der junge böhmische König Friedrich. Weil die Wohlhabenden beider Konfessionen den
Bauern keine Schusswaffen geben wollten, spielte der Volkszorn keine Rolle, und der größte Teil der Kombattanten waren angeheuerte Söldner.
    Bild 8
    Jan Žižka
    Am Tag der Schlacht kontrollierten die Protestanten, die zahlenmäßig unterlegen waren, den Zugang zum Weißen Berg, der genau genommen ein Hügel am Stadtrand von Prag war. Während 90 Minuten erbitterter Kämpfe fielen über 2000 Mann. Die Katholiken schienen die Oberhand zu erlangen, aber die Protestanten waren weiterhin imstande, die Stadt zu verteidigen. In diesem entscheidenden Moment wandten sie sich an Friedrich, ihren gewählten König, um Rat, mussten allerdings feststellen, dass er geflohen war. Im Stich gelassen und verraten, kapitulierten sie sofort und gestatteten es dem kaiserlichen Heer, in die Stadt einzumarschieren.
    Den Protestanten in Böhmen kam die Schlacht am Weißen Berge wie das Ende der Geschichte vor. Unterlegene Adlige wurden hingerichtet oder verbannt, ihre Religion verboten und ihre Güter wurden unter den spanischen und österreichischen Verbündeten des Kaisers aufgeteilt. Das tschechische Volk überlebte, aber als eine Nation der Bauern ohne Ober- oder Mittelschicht. Eine Zeitlang erlebte Prag einen Bauboom, weil katholische Adlige großartige Projekte in Auftrag gaben, die den architektonischen Ruhm der Hauptstadt noch vergrößerten, aber die Entfremdung der meisten Tschechen steigerten. Ihre Sprache wurde nicht länger an Verwaltungsbehörden oder Fürstenhöfen gesprochen, sondern durch Deutsch ersetzt. Im Glanz des Zeitalters der Königsherrschaft wurde das böhmische Volk verächtlich als rückständig und unbedeutend angesehen, sofern man überhaupt seiner gedachte.
     
    B ei ihren Forschungen zur tschechischen Geschichte erkannten mein Vater und seine Kollegen zwei entgegengesetzte Kräfte: die Kämpfer, Männer wie Žižka, und die Gelehrten. An erster Stelle ist hier Jan Ámos Komenský (Johann Comenius) zu nennen, der vor allem für seine Schriften im Exil bekannt ist. Der Bischof der von Hus inspirierten Unität der Böhmischen Brüder Komenský zählte zu denjenigen, die nach der Schlacht am Weißen Berge fliehen mussten. Er ernährte sich von Nüssen und entkam seinen Verfolgern, indem er sich im Stamm einer Linde versteckte.
    Komenský blieb nichts anderes übrig, als ein neues Leben anzufangen, und schon bald erwies er sich als ein Lehrer mit erstaunlichem Humanismus und Weitsicht. Im Einklang mit seinen böhmischen Idealen legte er großen Wert auf die allgemeine Alphabetisierung und auf Zugang zu freien Schulen für Mädchen
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