Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine
Autoren: Gerard Donovan
Vom Netzwerk:
um eventuelle Rückstände zu entdecken: nichts. Gewehr sauber.
    Bevor mein Vater mir gezeigt hatte, wie man schießt, brach te er mir bei, wie man ein Gewehr reinigt. Um den Monatsersten herum konnte ich mir ste ts sicher sein, dass er irgend wann, den Blick in sein Buch versenkt, von seinem Stuhl her rief: Julius, hast du die Enfield gereinigt?
    Ich brachte das Gewehr wieder in die Scheune, denn nur ein leichtsinniger Mensch lässt eine Waffe, auch wenn sie nicht geladen ist, im Wohnzimmer liegen. Und da ich wieder fünf Schuss ins Magazin geladen hatte, war es besser, das Gewehr in der Scheune aufzubewahren; die Patronen hatte ich einge führt, um jederzeit schießen zu können. Schließlich will man es nicht erst laden, wenn man unter Beschuss steht. Da bleibt einem nur wenig Zeit.
    12
    In meiner Rastlosigkeit konnte ich mich für kein Buch ent scheiden und streifte an den Regalen entlang, mal in der Wärme des Holzofens, mal nicht, vorbei an warmen und kalten Büchern, die strotzend vor Leben strammstanden. Plötzlich fiel mir die Liste der Shakespeare- Wörter ein, die ich abgeschrieben hatte: Sie befand sich auf ein paar Blättern, die ich zwischen Othello und Richard II. gesteckt hatte. Ich ging in die sich ausbreitende Wärme des Feuers, zog die Liste heraus, setzte mich damit auf den Gartenstuhl und betrachtete sie. Auf der ersten Seite sah ich, in der sorgfältigen Handschrift eines kleinen Jungen, meine drei Wörter, die Ausbeute eines Tages:
    Erloschen hieß tot, Galgenstrick war ein hinterhältiger Bursche, Geleit ein Begleiter.
    Ich sprach die Wörter leise vor mich hin, als befürchtete ich, sie könnten Gestalt annehmen und von der Seite verschwin den. Und es waren so viele, Seiten über Seiten, Hunderte von Wörtern.
    Ich sah die Ausbeulung meines am Wandhaken hängen den Mantels und zog die Jagdzeitschrift aus der Innentasche, schürte die Glut, bis sie knisterte, und las dann in dem Heft. Die Seiten waren aus teurem Hochglanzpapier: große Fotos und Werbeanzeigen für Waffen, Bogen und Gewehre, Stiefel und Drillichhosen, Abzeichen der Rifle Association, patriotische Embleme, Statistiken über Munition, Flugbahnen, verschiedene Ladungsgewichte, Fehlerquoten in den Flugbahnen.
    So viele Statistiken, dass einem schwindlig wurde. Auf einem Berg kniete ein grauhaariger Herr mit seiner Waffe hinter einem Bären, der alle viere von sich gestreckt hatte. Die dazu gehörige Bildunterschrift lautete: » Jake Larson erlegte diesen sehr schönen Schwarzbären mit einer Schrotflinte Kaliber 12 und Sabotmunition.« Geschichten aus dem Jägerleben, noch ein Kerl, der zwei fette tote Kaninchen am Ende einer Schnur baumeln ließ. Auf der nächsten Seite ein Hirschkopf und eine polierte schwarzgoldene Flinte, die an ein em Baumstamm lehnte, mit drei fä cherförmig angeordneten Schrotpatronen neben dem Schaft: » Dieses große Wild habe ich aus siebzig Metern mit Sabotmunition und einer Browning-Gold-Flinte erledigt. Der Hirsch stürzte sofort zu Boden, brauchte aber noch einen Fangschuss.« Die Augen des Hirsches standen offen, das Fell rund um die Schusswunde war verfilzt. Ein langer Aufsatz über die Gewehrauswahl für Anfä nger: das Zentralfeuergewehr, der Vorderschaftrepetierer, die Doppeloder Bockdoppelflinte und der Selbstlader, alles mit Preis und Marke, Vor- und Nachteilen, dem Wild, das man damit jagt. Und überall Fotos von Männern mit Baseballkappen.
    Ich las eingehend in der Zeitschrift, verweilte bei den Schil derungen und verlor mich in den Gewehrinformationen und der Kameraderie. Eine ganzseitige Anzeige f ür den neuen Remington- Vorderschaftrepetierer, Modell 870, Kaliber 12, Spezialanfertigung. Ich las die Telefonnummern in den Anzeigen, die Vorwahlnummern, das Kleingedruckte und die Geschäftsbedingungen, weil man mir beigebracht hatte, alles sorgfä ltig zu lesen, sogar die Fußnoten, denn darin stand oft die wahre Geschichte. Es war offensichtlich: Vieles am Streben dieser Männer und der paar Frauen ließ sich als Leidenschaft bezeichnen. Sie liebten die kalten Wintertage im Freien, den kleinen Ausflug, ein Mann und sein Gewehr in der Wild nis, das klare Wetter, die Gefahr. Na, dann viel Glück, dachte ich, denn die Jagd hat für sie etwas Aufregendes, so viel ist si cher. Und sie waren mit einer Kleidung und einer Ausrüstung ausgestattet, wie sie meinem Großvater oder meinem Vater nicht zur Verfügung gestanden hatten, als sie in die großen Schlachten zogen, die das Schicksal von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher