Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Titel: Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
ich einen richtigen Schrecken bekam. Er streichelte der Figur über den Hals und grinste sie an.
‹Hoffentlich nicht wieder so eine Plattierung›, sagte ich. ‹Nun›, antwortete er, ‹ich hatte schon daran gedacht, gewissermaßen ein Pendant zu dem hier zu machen – Der schlafende Athlet oder in der Art.›
‹Sie sollten die Figur doch lieber gießen›, sagte ich. ‹Warum haben Sie das Zeug so dick aufgetragen? Das zerstört doch die ganzen Feinheiten.›
Das ärgerte ihn. Er hörte es nie gern, wenn man dieses Kunstwerk kritisierte.
‹Das war ein Experiment›, sagte er. ‹Das nächste soll ein richtiges Meisterwerk werden. Sie werden ja sehen.›
Etwa an diesem Punkt der Unterhaltung kam der Butler und fragte, ob er ein Bett für mich herrichten solle, weil es so eine scheußliche Nacht sei. Wir hatten nicht so sehr aufs Wetter geachtet, obwohl es schon etwas bedrohlich ausgesehen hatte, als ich in New York aufgebrochen war. Aber als wir jetzt nach draußen sahen, goß es aus Eimern. Das wäre ja sonst nicht so schlimm gewesen, aber ich war nur in einem offenen kleinen Rennwagen gekommen und hatte keinen Mantel bei mir, und die Vorstellung, fünf Meilen weit durch diesen strömenden Regen zu fahren, war alles andere als verlockend. Loder drängte mich, dazubleiben, und ich war einverstanden.
Ich fühlte mich ziemlich kaputt und ging sogleich zu Bett. Loder sagte, er wolle vorher noch ein wenig in seinem Atelier arbeiten, und ich sah ihn über den Flur fortgehen.
Sie gestatten mir nicht, von Vorsehung zu sprechen, also will ich nur sagen, daß es ein erstaunlicher Zufall war, daß ich gegen zwei Uhr morgens aufwachte und mich in einer Wasserpfütze wiederfand. Der Diener hatte mir eine Wärmflasche ins Bett gelegt, weil es lange nicht mehr benutzt worden war, und an dem gemeinen Ding hatte sich der Verschluß gelöst. Zehn Minuten lang lag ich in meinem nassen Elend da, bevor ich genug Willenskraft zusammenraffen konnte, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dann sah ich allerdings, daß es hoffnungslos war – Laken, Decken, Matratze, alles durchgeweicht. Ich sah den Sessel und hatte plötzlich eine großartige Idee. Mir fiel nämlich ein, daß im Atelier ein herrlicher großer Diwan mit einer schönen Felldecke und einem dicken Stapel Kissen stand. Warum nicht dort den Rest der Nacht verbringen? Ich nahm die kleine elektrische Taschenlampe, die ich immer bei mir habe, und machte mich auf den Weg dorthin.
Das Atelier war leer, darum nahm ich an, daß Loder sich auch schon in die Falle begeben hatte. Aber der Diwan stand da, halb verdeckt von einer spanischen Wand, und ich kroch unter die Decke und schickte mich an, wieder einzuschlafen.
Ich war gerade wieder schön schläfrig geworden, da hörte ich Schritte, aber nicht vom Flur, sondern anscheinend von der anderen Seite des Zimmers her. Ich war überrascht, denn ich wußte nicht, daß es in dieser Richtung noch einen Ausgang gab. Ich blieb still auf dem Diwan liegen, und bald darauf sah ich einen Lichtstreifen aus dem Schrank fallen, in dem Loder sein Werkzeug und anderes aufbewahrte. Der Streifen wurde breiter, und Loder kam heraus, in der Hand eine Taschenlampe. Er schloß die Schranktür ganz leise hinter sich und kam durchs Atelier.
Vor der Staffelei blieb er stehen und schlug die Decke zurück. Ich konnte ihn durch eine Ritze in der spanischen Wand beobachten. Er stand ein paar Minuten vor der Staffelei und betrachtete eine Skizze darauf, und dann ließ er das häßlichste gurgelnde Lachen ertönen, das ich jemals zu hören das Vergnügen hatte. Wenn ich je ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hatte, ihm meine unbefugte Gegenwart anzuzeigen, so ließ ich ihn spätestens jetzt fallen. Bald darauf deckte er die Staffelei wieder zu und ging durch die Tür hinaus, durch die ich hereingekommen war.
Ich wartete, bis ich sicher sein konnte, daß er wirklich fort war, dann stand ich auf – unerhört still und leise, darf ich sagen. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Staffelei, um zu sehen, was für ein faszinierendes Kunstwerk sich darauf befand. Ich sah auf den ersten Blick, daß es ein Entwurf für die Skulptur Der schlafende Athlet war, und während ich ihn mir ansah, beschlich mich so etwas wie eine entsetzliche Gewißheit. Es war eine Idee, die in der Magengegend begann und sich langsam bis in die Haarwurzeln fortpflanzte.
Meine Familie behauptet immer, ich sei zu neugierig. Ich kann nur sagen, daß keine zehn wilden Pferde mich davon hätten abhalten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher